Beratungsbedarf nimmt zu
"Wichtig sind Rituale, die den Kindern Halt geben“
Speyer. Welche Belastung die Corona-Krise mit ihren Einschränkungen des sozialen Lebens für Paare und Familien mit Kindern bedeutet, wird derzeit besonders in der Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung des Caritas-Zentrums Speyer deutlich. Hier nimmt der Beratungsbedarf zu.
Es ist eine „verrückte“ Welt, in der Familien momentan leben. Nichts ist wie normal, gewohnte Strukturen von außen brechen weg, immer wieder müssen sich Menschen auf neue Situationen einstellen. Oder wie es der Caritas-Psychologe Werner Euchner zusammenfasst: „Corona bedeutet gestern hüh, heute hott.“ Die vier Berater in der Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung des Caritas-Zentrums Speyer bekommen hautnah mit, wie belastend die Corona-Krise für Paare und Familien ist. Ihre Hilfe ist jetzt ganz besonders gefragt.
Ein Grund zur Sorge, der Eltern zunehmend in die Beratungsstelle bringt, ist der übermäßige Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen. „Das hat durch Corona stark zugenommen“, sagt Diplom-Heilpädagogin Ulrike Dietz-Frübis. Das Prekäre an der Situation: Eltern können nun oft nicht mehr unterscheiden, wann der Nachwuchs etwas für die Schule macht oder wann er zockt.
Durch Fernunterricht und Homeschooling verbringen Schüler stundenlang Zeit am PC. Dazu kommt, dass im Moment auch vieles in der Freizeit über das Handy laufe, denn die Kinder können sich ja nicht mit Freunden treffen und halten so Kontakt.
Doch es ist nicht nur der pc- und handysüchtige Jugendliche, der plötzlich die Nacht zum Tag macht und in der virtuellen Welt der Computerspiele versinkt. Die Pandemie hat Auswirkungen auf alle Altersstufen. Da sind die Kleinen, die vielleicht gerade in die Kindertagesstätte eingewöhnt waren und jetzt wieder zu Hause bleiben müssen, Kinder, die ihre Freunde oder Großeltern nicht mehr sehen dürfen, nicht mehr im Verein Sport treiben.
Kinder brauchen Regeln, Grenzen und Strukturen und die brechen gerade weg. Dazu kommen im Moment neue Vorschriften, die überall ein bisschen anders sind und die jeder anders umsetzt. Ganz wichtig sei es jetzt, die Bedürfnisse von Kindern wahrzunehmen, sie mit einzubeziehen. Das können ganz kleine Schritte sein. „Kurze, kleine Ziele geben Orientierung“, erklärt Dietz-Frübis. „Ganz wichtig sind Rituale, die den Kindern Halt geben“, ergänzt Euchner. Das kann das gemeinsame Essen sein, Bastelstunden mit den Eltern, Raufen und Toben mit Mama oder Papa zu einer festgelegten Zeit.
Eltern und Paare suchen auch Rat im Caritas-Zentrum, wenn die Beziehung kriselt. Meist versuchen sie die Partnerschaft zu retten, andere bitten um Hilfe, eine saubere Trennung vollziehen zu können. Hier hat Ulrike Dietz-Frübis im ersten Lockdown im Frühjahr eine interessante Beobachtung gemacht: Corona hat die Prozesse beschleunigt: „Manche Paare haben sich schneller getrennt, andere Familien haben sich zusammengerauft und wiederentdeckt, was sie früher zusammengehalten hat.“ Darum geht es auch in der Eheberatung: die Schätze in einer Partnerschaft zu finden und wieder ans Licht zu holen. „Das sind Wurzeln, die Halt geben und die Kraft, mit Krisen umzugehen“, sagt Euchner.
Besonders schlimm sei es, wenn Eltern über ihren Streit, die Kinder aus dem Blick verlieren. „Kinder leiden unter Streit, lassen in der Schule nach, werden auffällig. Das ist alles ineinander verwoben“, erklärt Ulrike Dietz-Frübis. Daher sei es gut, dass alle vier Berater im Caritas-Zentrum Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung anbieten. Die Schwerpunkte in den Beratungen werden dann dort gesetzt, wo es gerade nötig ist.
Die Beratungen finden nicht nur im Caritas-Zentrum statt. In Kindertagesstätten bieten die Berater Familiennachmittage an. Da geht es beispielsweise um Themen wie Zeitmanagement, Grenzen setzen, Geschwisterrivalität oder Ängste. Auch an Schulen bekommen Jugendliche Beratung, die Eltern können, aber müssen dabei nicht eingebunden sein. Durch eine Kooperation mit den Frühen Hilfen helfen die Berater auch Müttern, die nach der Geburt in Depressionen verfallen oder Vätern, die sich plötzlich abgeschoben fühlen.
Gut 200 Menschen suchen jedes Jahr Hilfe in der Ehe-, Erziehungs- und Lebensberatung des Caritas-Zentrums in Speyer. Je etwa die Hälfte kommt aus Speyer und aus dem Umland. Die Menschen kommen mit allem, was sie beschäftigt. Manche brauchen vielleicht nur zwei oder drei Termine, andere kommen über sechs Monat, manchmal sogar länger. Manchmal ist der Beratungsauftrag ganz klar, in anderen Fällen sind es viele Baustellen. „Wenn man die Büchse der Pandora aufmacht, kann ganz vieles hervorkommen“, sagt Werner Euchner. „Wir sind eine Beratungsstelle. Eine Therapie im Sinne einer Krankenbehandlung findet nicht statt“, macht Euchner deutlich. Wenn jemand allerdings sehr lange auf einen Therapieplatz warten muss, kann das im Caritas-Zentrum überbrückt werden. In der Regel dauert es maximal zwei Wochen, bis ein Hilfesuchender in der Erziehungs-, Ehe- und Lebensberatung im Caritas-Zentrum einen Termin bekommt.
Auch eine telefonische Beratung ist möglich. „Wenn‘s brennt, kann man die Leute nicht ein halbes Jahr warten lassen“, erklärt Euchner. Durch die gute Vernetzung der verschiedenen Fachdienste im Caritaszentrum können die Kunden zusätzlich auch weiter verwiesen werden, wenn der Fall komplexer ist. Die Beratung ist kostenfrei, aber nicht kostenlos. „Sie kostet die Überwindung, herzukommen und sich ein vermeintliches Scheitern einzugestehen und sie müssen etwas ändern wollen“, sagt Dietz-Frübis, und das sei nicht immer leicht. Dafür gebe es aber auch ganz oft ein Happy-End.
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