JSV Speyer: Multisportlerin Lindner auf vielen Siegertreppchen ganz oben
Speyer. Es war ein ereignis- und erfolgreiches erstes Halbjahr für Jessica Lindner aus dem Bundesligateam des JSV Speyer. Zum einen verhalf sie dem JSV-Frauenteam zum souveränen ersten Platz in der Judo-Bundesliga Südwest und damit zum Einzug in die im August stattfindenden Play-Offs. Doch das ist längst nicht alles: Die 32-jährige Saarländerin gewann zunächst die Deutsche Judo-Meisterschaft der Ü30 und anschließend die Ü30-Europameisterschaft in Sarajewo.
Auch bei der Deutschen Polizeimeisterschaft war sie ganz oben auf dem Siegertreppchen in ihrer Gewichtsklasse bis 48 Kilogramm und Dritte in der nächsthöheren Gewichtsklasse. Bei der Polizei-Europameisterschaft in Sofia wurde sie Dritte. Und dann wurde sie noch Deutsche Meisterin im Sambo – einer Kampfsportart, die man sich als eine Art Zwischending zwischen Judo und Ringen vorstellen kann. Jessica Lindner ist nämlich sportlich vielseitig unterwegs – früher nahm sie auch noch an Wettkämpfe im Ringen teil.
„Ich habe mit sieben Jahren angefangen Judo zu machen und Judo hat für mich auch die größte Wertigkeit. Das liegt natürlich auch daran, dass zum Beispiel bei einer Deutschen Meisterschaft im Judo viel mehr Teilnehmerinnen sind als beim Ringen oder Sambo. Judo kennt jeder. Ringen kennen die meisten nur als Männersport, und Sambo kennen wirklich nur die wenigsten“, erklärt Lindner. Die sportliche Vielseitigkeit hat auch zum Teil pragmatische Gründe, denn für die Saarländerin fehlt es an nahegelegenen Möglichkeiten, um auf hohen Niveau Judo zu trainieren. „Dazu müsste ich nach Speyer oder Straßburg fahren. Das ist für mich als Mutter eines kleinen Kindes nicht machbar. Also gehe ich hier im Saarland zweimal die Woche ins Ringer-Training“.
Wesentliche Unterschiede gibt es zwischen den Sportarten bezüglich der Kleidung und der erlaubten Techniken. Während beim Judo ein Anzug aus Jacke und langer Hose getragen wird, hat man beim Ringen nur einen engen Anzug und Ringerschuhe an. „Auch wenn Judo und Ringen artverwandt sind, gibt es Unterschiede – weil die Jacke fehlt und man im Judo häufig an die Jacke greift, können bestimmten Würfe im Ringen nicht ausgeführt werden. Dafür darf man an die Beine greifen, was im Judo seit 2013 absolut verboten ist.
"Mir kommt das entgegen, weil ich bis zur Regeländerung im Judo sehr viel von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht habe“, erklärt Jessica Lindner. Im Sambo, ergänzt sie, ist das Greifen der Beine auch erlaubt, und da man eine Jacke trägt wie im Judo, können hier die entsprechenden Griffe und Würfe angewandt werden. „Deshalb gefällt mir Sambo ganz gut – weil eben beides geht“. Die Vielseitigkeit kann auch Vorteile mit sich bringen: „Es gibt zwar nichts was ich aus dem Sambo oder Ringen im Judo anwenden kann, aber umgekehrt schon. Es gibt ein paar Würfe und Fußfeger zum Beispiel aus dem Judo, die eine Gegnerin die nur Ringen oder Sambo macht, nicht kennen wird, so dass ich da einen Überraschungseffekt haben kann“, erzählt die Multisportlerin.
Verwirrend findet sie das regelmäßige Umstellen zwischen den Sportarten nicht: „Sobald ich mit Ringeranzug und Schuhen auf der Matte stehe, ist das für mich ein ganz anderes Gefühl und ich bin mental darauf eingestellt zu ringen. Beim Judo gilt im Grunde das Gleiche. Das Interessante ist, dass ich ja im Moment überhaupt kein Judo trainiere, aber sobald ich beim Wettkampf bin, auf der Matte stehe und anfange, mich aufzuwärmen und die ersten paar Würfe mit meiner Partnerin gemacht habe, die Bewegungsabläufe einfach sofort wieder drin sind.“
Regelmäßiges Umdisponieren und sich immer wieder auf Neues einzustellen – das ist für Jessica Lindner im wahrsten Sinne Alltag. Als Polizistin in Vollzeit arbeitet sie jeden Tag acht Stunden, sie trainiert fleißig und kümmert sich natürlich auch um ihren fünfjährigen Sohn. „Das tolle ist, das ich ihn wirklich überall hin mitbringen kann – also zum Sport oder zum Wettkampf. Er ist dann dabei und macht mit oder unterstützt mich durch Anfeuern bei Wettkämpfen oder auch einfach nur dadurch, dass er mich machen lässt. Er versteht, dass es mir wichtig ist und dass es mir gut geht, wenn ich meinen Sport machen kann“, berichtet die junge Mutter stolz.
Anhand von Beispielen aus verschiedenen Sportarten wurde in den vergangenen Jahren zunehmend thematisiert, wie schwierig es ist, für Sportlerinnen nach einer Babypause wieder in den Leistungssport zurück zu kehren. Für Jessica Lindner stand von Anfang an fest, dass sie weitermachen wollte, und dafür hat sie auch alles gegeben. „Ich kenne viele Sportlerinnen, die mit der ersten Schwangerschaft ihre aktive Karriere beenden. Für mich war aber klar, dass ich danach weitermachen wollte. Ich stand bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat auf der Matte – mein Arzt war damit einverstanden – und zehn Tage nach der Geburt war ich schon zum ersten Mal wieder laufen. Sechs Wochen danach hatte ich schon wieder den ersten Wettkampf. Mir kam zugute, dass ich während der Schwangerschaft nicht zugenommen habe, und danach auf Anhieb das Gewicht von 48 Kilo hatte. Die Babypause war also nur eine kurze Unterbrechung, vergleichbar mit einer Sommerpause oder einem längeren Urlaub. Ich kann also aus meiner Erfahrung sagen, dass es schon möglich ist, nach einer Schwangerschaft in den Leistungssport zurückzukehren. Der Schlüssel dazu ist, wirklich die ganze Zeit über fit zu bleiben, sofern man die Möglichkeit dazu hat“, berichtet Lindner von ihrer Erfahrung.
Seit 2011 ist Jessica Lindner im Speyerer Bundesligateam – so lang wie keine andere Kämpferin. Sie hat viele Teamkolleginnen kommen und gehen sehen in der dieser Zeit, und ist nun die erfahrenste in einem zum Teil sehr jungen Team mit immer mehr Speyerer Eigengewächsen. Ein gutes Zeichen für die Zukunft des Frauenjudo in Speyer, wie Jessica Lindner findet: „Ich bin zwar nicht vor Ort in Speyer aber ich bekomme viel mit und weiß, dass beim JSV sehr viel gemacht wird, sehr viel gute Arbeit im Nachwuchsbereich. Früher gab es noch Regionalliga und 2. Bundesliga – das fand ich persönlich damals auch ganz gut, um als junge Kämpferin reinzukommen in den Ligabetrieb, doch heute gibt es nur die Bundesliga, wo man als Neuling gleich neben Olympiateilnehmerinnen steht. Das ist einerseits ein großer Schritt für eine junge Sportlerin, kann aber auch reizvoll und motivierend sein.“
Aus sportlicher Sicht sind die jungen Kämpferinnen allemal bereit für die Bundesliga, trotzdem gibt es einige Aspekte, bei denen erfahrene Teamkolleginnen wie Jessica Lindner gerne helfen: „Der Rahmen und der Ablauf eines Bundesligakampfes sind anders als die Wettkämpfe, die sie schon kennen. Ich kann mich daran erinnern, wie es bei mir am Anfang war – ich hatte keine Ahnung, wer wann dran ist oder wo man hinlaufen muss. Manchmal gibt es ein bisschen Nervosität und Anspannung. Da schaue ich gerne mal ein bisschen nach unseren jüngeren Teammitgliedern, wenn wir am Aufwärmen sind und lockere die Stimmung mit ein bisschen Humor auf, um ihnen die Nervosität zu nehmen. Und ich führe die Mannschaft beim Einlaufen immer an. Ich gehe voran und die anderen müssen mir nur folgen, damit sie richtig laufen und richtig stehen. Und ich mache auch gerne gleich den ersten Kampf – andere wären da vielleicht etwas nervös aber ich hab das so oft gemacht, dass mich das nicht stört – im Gegenteil, es macht mir Spaß“, erklärt sie.
JSV-Teamchefin Nadine Lautenschläger ist jedenfalls voller Respekt vor ihre erfahrensten Kämpferin und dem, was sie sportlich wie menschlich zum Team beiträgt: „Es ist mehr als bewundernswert, wie sie mit Job und Kind so ein sportliches Pensum stemmt und in drei Sportarten so erfolgreich ist. Sie ist immer einsatzbereit und sehr wertvoll für das Team, zum einen sportlich, aber auch, weil sie eine Frohnatur ist, die immer gute Laune hat und für gute Stimmung im Team sorgt.“ Das Speyerer Team anführen möchte Lindner noch diese Saison in den Playoffs und der Finalrunde und dann noch einmal im kommenden Jahr. Außerdem freut sie sich auf die Judo-WM der Ü30 im November in Las Vegas, und im kommenden Jahr wird sie eventuell an der Sambo-WM teilnehmen.
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