Generalisierte Pflegeausbildung an der BBS Wörth
Ob Katheter oder Zähneputzen - vor der Praxis kommt die Simulation an der Puppe
Wörth. Wie es sich anfühlt, alt zu sein, wenn die Kräfte nachlassen und jede Bewegung zur Qual wird - auch das lernen die Schüler, die an der BBS Wörth eine generalisierte Pflegeausbildung machen. Denn, wenn man erst einmal in einen der mit Gewichten beschwerten Alterssimulationsanzüge geschlüpft ist, eine Brille trägt, die altersbedingte Sehbehinderungen nachahmt, kann man erahnen, wie schwer der Alltag für ältere Menschen ist, darüber sind sich die Schüler.innen der ersten Abschlussklasse der neuen generalistischen Pflegeausbildung einig. "Man lernt empathischer zu sein, nicht nur im Beruf, auch im Alltag - etwa an der Supermarktkasse, wenn es mal nicht schnell genug geht. Man überlegt sich dreimal, ob man zu einem Senioren sagt 'beeilen Sie sich mal ein bisschen' - egal wie viel Stress man gerade selbst hat", sagen die Auszubildenden. Dem konnte auch der Erste Kreisbeigeordnete Christoph Buttweiler nur beipflichten. Denn er testete einen der Anzüge, mühte sich redlich ab, mit schweren, tauben Fingern Münzen aus dem Geldbeutel zu fischen oder gar mit Messer und Gabel zu essen.
Neue generalistische Pflegeausbildung
Erst seit 2020 ist das neue Pflegeberufegesetz in Kraft - es regelt, wie der Name schon sagt, die neue, berufsübergreifende Ausbildung. Altenpfleger, Kinderkrankenpfleger - für sie gab es in Deutschland vorher verschiedene Ausbildungen, die jedoch im restlichen Europa nicht anerkannt wurden. Alle Auszubildenden erhalten jetzt zwei Jahre lang eine gemeinsame, generalistisch ausgerichtete Ausbildung, in der sie einen Vertiefungsbereich in der praktischen Ausbildung wählen. Auszubildende, die im dritten Ausbildungsjahr die generalistische Ausbildung fortsetzen, erwerben den Berufsabschluss „Pflegefachkraft“. Auszubildende, die ihren Schwerpunkt in der Pflege alter Menschen oder der Versorgung von Kindern und Jugendlichen sehen, können wählen, ob sie – statt die generalistische Ausbildung fortzusetzen – einen gesonderten Abschluss in der Alten- oder Psychiatriepflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege erwerben wollen. Dafür wurde an der BBS Wörth eigens ein schulinternes Curriculum erstellt
So einfach das klingt, so schwer war die Umsetzung dieser neuen Regelungen für die Wörther Schule und ihren Träger. Den Job, das alles unter einen Hut zu bringen, Theorie und Praxis, Schule und Ausbildungsbetriebe zu vernetzen, übernahmen im Kreis Germersheim die zwei Pflegekoordinatorinnen Beate Gehlhar-Rupp und Stefanie Nauerth. Die vermitteln zwischen Schule und Betrieben, organisieren die sieben geforderten Praxiseinsätze für die Schüler.innen, sammeln Feedback von allen Seiten und verarbeiten dieses.
Der Alltag im Klassenzimmer - Empathie für Puppen
Sie gaben - gemeinsam mit Lehrern und Schülern der BBS Wörth - am Dienstag einen Einblick in die "Pflege im Klassenraum". Sie wollen die Ausbildung noch weiter bekannt machen, denn noch immer herrscht in allen Bereichen der Pflege ein großer Mangel an Fachkräften.
Das größere Spektrum der allgemeinen Ausbildung macht diese zwar generell attraktiver, aber den Zugang - etwa für Altenpflegehelfer - eher schwierig. Ein Problem, dem man sich an der BBS Wörth stellen möchte - derzeit werden Konzepte für eine bessere Eingliederung erarbeitet.
"Pflege im Klassenraum" - ein Thema, das besonders während der Pandemie besonders wichtig geworden ist, als der Kontakt zum Patienten für die Auszubildenden nicht möglich war. Neben den bereits erwähnten Alterssimulationsanzügen gibt es im Klassenzimmer auch Pflegepuppen - "Nursing Annes" genannt, an denen die Schüler.innen üben können, bevor sie das Erlernte am Patienten durchführen. Spritzen geben, Blutdruck messen, Katheter setzen, Körperpflege - all das sind Dinge, die in der neuen Ausbildung zuerst an der Puppe geübt werden. Die Puppen liegen in ihren Pflegebetten, haben einen vorab programmierten Puls und Blutdruck, sie atmen, husten, bringen Schmerz und Unwohlsein zum Ausdruck. Mit einer eigens dafür entwickelten Software können sie auch sprechen - dem Schüler das weitergeben, was sie von den Lehrerinnen "vorgesagt" bekommen. Sie bekommen, Asthmaanfälle, Herzrasen oder müssen sich übergeben - ganz wie im richtigen Pflege-Alltag.
Aber hilft das wirklich, um auf den Einsatz am "echten Menschen" vorbereitet zu sein? "Es ist gut, dass man an der Puppe Fehler machen kann, die im echten Pflege-Alltag unverzeihbar wären", sagt Sylwia Errante, eine der Schülerinnen im Abschlussjahr. "Aber andererseits weiß man natürlich, dass sie nicht echt sind, nicht wie Menschen reagieren - das auszublenden ist schon manchmal schwer,. gerade, wenn man mit den Puppen wie mit den Patienten reden soll." Dass die Puppen Fehler gestatten, baut aber auch Hemmschwellen ab, sagen die Lehrerinnen Lena Höffel, Katharina Antoni und Anja Richtenstein, die an der BBS Wörth mit der modernen Technik arbeiten. Denn wer möchte die erste Spritze schon am "leben Objekt" üben?
Moderner Beruf mit Zukunft
Derzeit gibt es allein in Wörth 94 Schüler.innen in der generalistischen Pflegeausbildung. Die erste Klasse mit 20 Schüler.innen wird 2023 noch ihr Examen absolvieren. Es ist ein Beruf mit Zukunft, der an der BBS Wörth auf höchstem Niveau gelehrt wird. Voraussetzung für die Ausbildung ist mindestens die Mittlere Reife oder ein Hauptschulabschluss verbunden mit einer erfolgreich abgeschlossenen Assistenz- oder Helferausbildung bzw. einer zweijährigen Berufsausbildung. Auch zunehmend Abiturienten interessieren sich für die Ausbildung, sagen die Lehrerinnen. Die Klassen seien bunt gemischt, was die Vorbildung und das Alter betrifft, nur Männer interessieren sich bisher noch wenig für die Ausbildung zur Pflegefachkraft - auch wenn sie an der BBS Wörth dazu selbstverständlich herzlich willkommen sind.
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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