Minister Schweitzer:
Stärke des Wirtschaftstandorts nicht kleinreden

Landesarbeitsminister Alexander Schweitzer, hier am 3. März 2024 bei einer Kundgebung in Hauenstein (Südwestpfalz). | Foto: W. G. Stähle
  • Landesarbeitsminister Alexander Schweitzer, hier am 3. März 2024 bei einer Kundgebung in Hauenstein (Südwestpfalz).
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Mainz/Landau. Alexander Schweitzer, Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz, kann sich Lobgesängen auf die Deregulierung nicht anschließen, hält aber für wichtig, neue und bestehende Regulierungen hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Verhältnismäßigkeit und Wirkung immer wieder zu überprüfen, lässt er im schriftlich geführten Interview wissen. Eine Überregulierung von Seiten der Europäischen Union sieht er nicht. Regulierungen seien ein Versuch auf eine sich immer schneller verändernde Welt zu reagieren. Bürokratie müsse flexibler und vor allem schneller werden. Ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort brauche eine moderne Verwaltung, die Innovationen und Wachstum fördert, statt ausbremst. Zur Standortattraktivität komme es auf ein kluges Zusammenspiel von innovationsfreundlicher Regulierung, staatlicher Förderung in Zukunftsfeldern und guten Rahmenbedingungen für Investitionen an. Ziel der rheinland-pfälzischen Arbeitsmarktpolitik sei, Menschen zu befähigen das eigene Leben und das ihrer Familie aus eigener Kraft zu bestreiten.

Alexander Schweitzer (SPD), gebürtig in Landau, ist direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises 49 Südliche Weinstraße. Er war (unter anderem) von 2009 bis 2011 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz.

Kann mich neoliberalen Lobgesängen auf die Deregulierung nicht anschließen
Wird nach Ihrer Beurteilung die Wirtschaft in Deutschland sowie Rheinland-Pfalz übermäßig reguliert? Der Geschäftsführer des mit Hauptsitz in Ihrem Wahlkreis ansässigen Unternehmens Stabila äußerte letzten September: „(Es) entsteht eine ausufernde Überregulierung. Der Staat muss festlegen ‚was können wir‘, vor allem aber ‚was können wir nicht‘". (Wir berichteten.)
Alexander Schweitzer: Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern in Gesetzesform gegossenes Vertrauen: Unter komplexen Rahmenbedingungen schaffen klare Spielregeln die für erfolgreiches ökonomisches Handeln notwendige Sicherheit für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger. In unserem Alltag erleben wir tagtäglich viele Beispiele kluger Regulierung: Wenn wir beim Mobilfunkvertrag zwischen unterschiedlichen Anbietern und Tarifen wählen können, wenn unsere Patientendaten nicht an Dritte weitergegeben werden oder wir uns darauf verlassen können, dass Lebensmittel im Supermarkt keine Schadstoffe enthalten. All das sind Beispiele guter Regulierung, die faire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen sichert und die Rechte von Bürgerinnen und Bürgern sowie die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern schützt. Als Minister, der für den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards oder den gleichberechtigten Zugang von Menschen mit Behinderung zum Arbeitsmarkt zuständig ist, kann ich mich den neoliberalen Lobgesängen auf die Deregulierung daher nicht anschließen.
   Unabhängig davon ist es wichtig, neue und bestehende Regulierungen hinsichtlich ihrer Zielsetzung, Verhältnismäßigkeit und Wirkung immer wieder zu überprüfen. Hierfür haben wir auch gute Instrumente wie die Gesetzesfolgenabschätzung zur Verfügung. Auf der Bundesebene unterstützt zudem der Normenkontrollrat (Beratungsgremium der Bundesregierung, Anm. d. V.) dabei, die Bürokratiekosten für die Wirtschaft zu reduzieren, Stichwort „Bürokratiebremse“.

Europäische Union muss den Anspruch haben Standards zu setzen
Wird nach Ihrer Einschätzung die Wirtschaft von Seiten der Europäischen Union übermäßig reguliert? Beispielsweise soll die Umsetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ein „gewaltiges Problem“ darstellen. Was diesbezüglich von der EU kommen soll sei „absurd“.
Alexander Schweitzer: Die Welt, in der wir leben, ist heute komplexer denn je. Im Zuge der Globalisierung, des technologischen Fortschritts und der Verflechtung von Märkten müssen Regulierungen eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, um effektiv sein zu können. Und die Auswirkungen globaler Krisenherde, der Klimawandel und die digitale Transformation machen auch nicht an nationalen Grenzen halt. Auf diese globalen Herausforderungen muss die EU europäische Antworten finden. Insofern sind Regulierungen ein Versuch, auf eine sich immer schneller verändernde Welt zu reagieren. Sie spiegeln die Notwendigkeit, komplexe und dynamische Realitäten rechtlich zu erfassen und einzufassen. Kurz gesagt: Komplexere Regulierungen sind teilweise lediglich die Antwort auf eine komplexere Welt – mit und in der wir alle leben müssen.
   Wenn es darum geht, für faire Wettbewerbsbedingungen und gute Arbeit, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards oder den Schutz von Bürgerrechten in der digitalen Welt einzutreten, muss die Europäische Union den Anspruch haben, globale Standards zu setzen, die auf unseren gemeinsamen europäischen Werten beruhen. So wurde mit der KI-Verordnung, die künftig den Einsatz von Künstlicher Intelligenz regelt, auf europäischer Ebene ein Regelwerk geschaffen, das weltweit zum Goldstandard für vertrauenswürdige KI werden wird. Durch die Blockade des europäischen Lieferkettengesetzes droht die FDP im Bund hingegen eine historische Chance zu verspielen, Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltverschmutzung in globalen Lieferketten den Kampf anzusagen und faire Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen im europäischen Wettbewerb zu schaffen.

Bürokratie muss flexibler und schneller werden
Sehen Sie die Notwendigkeit für einen Abbau politisch zu verantwortender Bürokratie von Seiten der EU, in Deutschland, in Rheinland-Pfalz, in den Kommunen?
Alexander Schweitzer: Die Politik hat eine Verantwortung für gute Rechtsetzung, und sie nimmt diese Verantwortung auch wahr. Wir haben entsprechende Instrumente und nutzen sie auch. Unabhängig davon müssen wir angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland und Rheinland-Pfalz stehen, auf allen Ebenen flexibler und vor allem schneller werden. Ich begrüße daher den Deutschland-Pakt von Bundeskanzler Olaf Scholz und das Bürokratieentlastungsgesetz der Bundesregierung, das zusammen mit dem Wachstumschancengesetz für spürbare Entlastungen für Unternehmen sorgen soll. Auch die Intention der Europäischen Kommission, Vorschriften für Bürgerinnen und Bürger zu vereinfachen und den Verwaltungsaufwand für europäische Unternehmen zu verringern, unterstütze ich.
   Ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort braucht eine moderne Verwaltung, die Innovationen und Wachstum fördert, statt ausbremst. Mehr Tempo in die Gestaltung der großen Zukunftsaufgaben wird auch die digitale Transformation der Verwaltung bringen, die in diesem Jahr weiter an Fahrt aufnehmen wird. Bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes setzen wir auf sogenannte Fokusleistungen, die für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Unternehmen eine große Relevanz haben. Die Anmeldung eines Unternehmens, die Gründung eines Handwerks oder die Anlagengenehmigung sollen künftig digital und dadurch deutlich schneller als bisher möglich sein.
   In der digitalen Transformation sind digitale Infrastrukturen die Voraussetzung für digitales Wirtschaften und Arbeiten. Um unser Ziel flächendeckender Glasfasernetze bis 2030 zu erreichen, müssen wir das Tempo im Breitbandausbau weiter erhöhen. Ein zentraler Fokus meines Digitalisierungsministeriums liegt daher auf der Digitalisierung der Genehmigungsverfahren im Breitbandausbau. Das gemeinsam mit Hessen entwickelte Breitbandportal befindet sich inzwischen bundesweit im Einsatz. Der gesamte Prozess zur Leitungsverlegung wird im Breitbandportal abgebildet, vom Antrag bis zum Bescheid. Statt mehrerer Monate dauert die digitale Antragsstellung so nur noch wenige Tage. Das muss für Genehmigungsverfahren im Infrastrukturbereich zum Standard werden.

Es kommt auf kluges Zusammenspiel von Regulierung und Rahmenbedingungen an
Wird in die Wirtschaft mittels staatlicher Förderung und Subventionierung übermäßig eingegriffen? Wären alternativ allgemeingültige Entlastungen finanzieller Art bei Steuern, Abgaben und so weiter zielführender, außerdem struktureller Art wie weniger und passendere Auflagen, Vorschriften und Einschränkungen?
Alexander Schweitzer: Es kommt auf ein kluges Zusammenspiel von innovationsfreundlicher Regulierung, staatlicher Förderung in Zukunftsfeldern und guten Rahmenbedingungen für Investitionen an. Dass vieles davon in Rheinland-Pfalz zusammenkommt, zeigen Unternehmensansiedlungen wie zuletzt des Pharmakonzerns Eli Lilly (Stammsitz Indianapolis, USA) in Alzey oder ACC (Batteriemodule) in Kaiserslautern. Dazu hat sicherlich auch beigetragen, dass der Ausbau der digitalen Infrastruktur in Rheinland-Pfalz – auch durch den geförderten Ausbau – weiter voranschreitet und insgesamt gute Arbeitsmarktbedingungen vorherrschen. Auch in Rheinland-Pfalz macht sich der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel bemerkbar. Qualifizierung und Weiterbildung werden für Beschäftigte und Unternehmen daher immer wichtiger. In Rheinland-Pfalz investieren wir deshalb in die Köpfe, damit Unternehmen und Beschäftigte im Wandel der Arbeitswelt Schritt halten können. Mit den Angeboten der Transformationsagentur und der Transformationsbegleiter und unterstützt durch unsere Förderansätze für berufliche Qualifizierung finden Unternehmen in Rheinland-Pfalz hier gute Rahmenbedingungen vor. Wir fördern nicht nur, sondern wir beraten die Menschen auch dabei, wie sie die für sie richtigen Angebote finden und möglichst effizient nutzen können.

Arbeit lohnt sich immer
Gibt es Konstellationen, die Menschen, die grundsätzlich in der Lage sind ihren Lebensunterhalt eigenständig zu erarbeiten, durch staatliche Alimentation vom Arbeitsmarkt fernhalten oder aus dem Arbeitsmarkt in staatliche Alimentation locken?
Alexander Schweitzer: Arbeit lohnt sich immer, da sie mehr als nur Broterwerb bedeutet. Sie steht für Teilhabe an der Gesellschaft, Austausch mit anderen Menschen, soziale Anerkennung und ist ein wichtiger Faktor für das eigene Selbstbewusstsein und sicher noch vieles mehr.
   Ziel unserer rheinland-pfälzischen Arbeitsmarktpolitik ist es, Menschen zu befähigen, das eigene Leben und das ihrer Familie aus eigener Kraft zu bestreiten. Unsere Förderansätze setzen daher auf die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit von Menschen, die es am Arbeitsmarkt aus unterschiedlichen Gründen schwerer haben als andere. Um den gefährlichen Teufelskreis der Arbeitslosigkeit zu durchbrechen, nehmen wir mit dem aufsuchenden Bedarfsgemeinschaftscoaching die besondere Situation und Bedürfnisse von Familien und Kindern in den Blick. Die Fachkräfte in den Projekten nehmen hierbei eine Lotsenfunktion zu bestehenden Beratungs- und Unterstützungsangeboten ein. Familiäre Strukturen, die ein Abhängigkeitsverhältnis von staatlichen Leistungen auch in der Zukunft erwarten lassen, werden gezielt angegangen. Durch weitere begleitende Angebote sollen vor allem Ängste abgebaut und die individuellen Erfolgschancen gesteigert werden. Gerade Menschen, die lange arbeitslos waren, werden zusätzlich bei der Aufnahme eines Praktikums, einer Arbeit oder einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme unterstützt und begleitet.

Schwerpunkt unserer Fachkräftestrategie liegt auf dem Thema Qualifizierung
Ist der von vielen Seiten beklagte Mangel an Arbeitskräften ein Standortkriterium in Deutschland und Rheinland-Pfalz? Ist der Arbeitsmarkt in Deutschland stark reguliert, möglicherweise übermäßig? Kann dieser Mangel reduziert werden durch Maßnahmen, die geeignet sind derzeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehenden Personen dem Arbeitsmarkt zu erschließen?
Alexander Schweitzer: Rheinland-Pfalz trägt durch eine Vielzahl von miteinander verkoppelten Initiativen und Ansätzen zur Sicherung von Fachkräften bei. Der Schwerpunkt unserer aktuellen, nunmehr dritten Fachkräftestrategie, die wir gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Kammern und der Bundesagentur für Arbeit entwickelt haben, liegt auf dem Thema „Qualifizierung“. Dieser Schwerpunkt zeigt sich durch die diversen Vorhaben zur Stärkung der dualen Ausbildung, der Förderung der beruflichen Weiterbildung sowie der Erwerbsmigration. Bei der Weiterbildung und Qualifizierung der Beschäftigten spielen beispielsweise die Transformationsagentur mit den Transformationsbegleiterinnen und -begleitern eine wichtige Rolle, indem sie individuelle Beratung und Unterstützung anbieten, um Beschäftigte für die digitalen und ökologischen Veränderungen der Arbeitswelt zu rüsten.
   Auch in Zeiten eines hohen Arbeits- und Fachkräftebedarfs gibt es in Rheinland-Pfalz aber Menschen im Bürgergeldbezug die es trotz eines hohen Beschäftigungsstandes besonders schwer haben, eine Anstellung zu finden. Der Anspruch unserer Arbeitsmarktpolitik ist es, keinen Menschen aufzugeben und arbeitslose Menschen so zu fördern, dass ihre Chancen auf eine Beschäftigung steigen. Wir unterstützen daher gezielt Menschen, die beim Einstieg in den Arbeitsmarkt vor besonderen Hürden stehen, etwa aufgrund einer fehlenden Berufsausbildung, familiären Belastungssituationen, eines Migrations- oder Fluchthintergrunds oder fehlender digitale Kompetenzen. Mit unseren Förderansätzen wollen wir sicherstellen, dass Benachteiligte und Geringqualifizierte in der Transformation der Arbeitswelt nicht den Anschluss an die digitale Entwicklung verlieren. Auch die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bleibt ein arbeitsmarktpolitischer Schwerpunkt der Landesregierung.

Rheinland-Pfalz hat in der Veränderung immer wieder zu neuer Stärke gefunden
Ist in Deutschland und Rheinland-Pfalz eine ausreichende Planungssicherheit gegeben, für Unternehmen, Arbeitnehmer, Privatpersonen?
Alexander Schweitzer: Zeiten großer Veränderung sind auch immer Zeiten großer Verunsicherung. In der Transformation unserer Wirtschafts-, Arbeits- und Lebenswelt erleben wir aktuell gleich mehrere solcher Veränderungsprozesse. Aufgabe von Politik ist es, den Wandel mit Zuversicht und Verlässlichkeit so zu gestalten, dass alle daran teilhaben können. Die gesellschaftliche Verunsicherung darf jetzt nicht zu einer Wachstumsbremse werden. Die Blockade der Union gegen das Wachstumschancengesetz ist daher das völlig falsche Signal.
   Das Land Rheinland-Pfalz hat in der Veränderung immer wieder zu neuer Stärke gefunden. Es geht darum, Schutz und Chancen im Wandel zu schaffen. Dafür steht auch mein Ministerium, das die Sicherung guter Arbeitsmarktbedingungen, die Vermittlung digitaler Kompetenzen für alle Generationen, die Modernisierung unseres Staates und Zukunftsinvestitionen in die digitale Infrastruktur unter einem Dach versammelt. Wir wollen die Chancen der Transformationen mutig ergreifen und alle im Wandel mitnehmen.

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Autor:

Werner G. Stähle aus Hauenstein

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