Lernen mit digitalen Medien:
Was aus psychologischer Sicht beachtet werden sollte
Angesichts von Homeschooling und der Ausweitung digitaler Angebote an den Hochschulen empfiehlt Prof. Dr. Mechthild Kiegelmann, mit anderen, mit sich selbst und der Technik gelassen und freundlich umzugehen. Wichtig sei, so die Professorin für Sozialpsychologie und Sozialpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, sich auszutauschen und vertraute Kommunikationswege nicht aus dem Blick zu verlieren. Lerngruppen könnten helfen.
Die Corona-Pandemie hat unseren Alltag grundlegend verändert. Viele direkte soziale Kontakte fehlen und das Leben ist in kürzester Zeit so digital geworden wie nie zuvor. Auch Lernen und Lehren sind momentan ohne digitale Medien kaum denkbar. Betroffen sind nicht zuletzt Schülerinnen und Schüler, Studierende, Eltern und Lehrende. Wie können sie mit den Herausforderungen dieser sehr schnellen und weitreichenden Umstellung umgehen? Und welche Chancen bietet digitales Lernen?
Prof. Dr. Mechthild Kiegelmann lehrt Sozialpsychologie und Sozialpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und hat sich im Rahmen ihrer Habilitation auf Pädagogische Psychologie spezialisiert. Sie macht deutlich, dass „persönliche Beziehungen und Gruppenerleben für das Lernen sehr wichtig sind“. Digitale Kommunikationsformen seien immer ‚ärmere‘ Begegnungen als persönliche Treffen, weil vertraute Informationen wie Körpersprache oder Gruppendynamik fehlen. Deshalb, so Prof. Dr. Kiegelmann, sei es zentral, sich weiterhin regelmäßig mit anderen Personen auszutauschen. „Lehrende sollten für Schüler oder Studierende konkrete Kleingruppen oder Lernpaare bestimmen, die verbindlich und regelmäßig direkt miteinander kommunizieren. Denn auch in Präsenzlehre oder Unterricht wird die reine Konzentrationszeit immer von vielen sozialen Kontakten umrahmt“, so die Dozentin mit langjähriger Erfahrung im Blended Learning, der Kombination von E-Learning und Präsenzlehre.
Die Ausnahmesituation anerkennen
„Vor dem ersten persönlichen Treffen in einem Seminar schaffen es nur wenige Studierende oder Lehrende, sich online auszutauschen“, berichtet Prof. Dr. Kiegelmann. Als Einstieg in die Fernlehre hätten sich Telefonate und E-Mails bewährt, also vertraute Kommunikationsformen ohne hohe technische Hürden. „Eine einmal nicht zustande gekommene Videokonferenz wirkt belastender als ein Besetztzeichen am Telefon“, so die Wissenschaftlerin. Lehrende und Lernende sollten deshalb vertrautere Fernkommunikationswege wertschätzen und einbeziehen. Wie bei anderen Neuerungen auch würden Lehrende und Lernende im Zuge der fortschreitenden Gewöhnung an neue Formen digitalen Lernens zunehmend gelassener.
Jetzt gelte es zunächst, die Ausnahmesituation anzuerkennen. „Gehen wir mit uns selbst, der Technik und unseren Mitmenschen gelassen und freundlich um“, appelliert Prof. Dr. Kiegelmann. Lernen mitten in einer Weltkrise weiterhin zu ermöglichen, sei eine große Leistung von Schulen und Hochschulen. „Erwarten wir nicht, dass alle und alles gleich leistungsfähig ist“, sagt die Psychologin.
Wir sind gerade Teil eines großen Reallabors Digitale Lehre
Wer jetzt durch Homeoffice, Homeschooling und Homeuniversity in unterschiedlicher Kombination herausgefordert sei, habe andere Belastungen als Personen, die sich ohne Zusatzaufgaben in geänderte Lernformen einarbeiten können. Außerdem hätten nicht alle Zugang zu Lernumgebungen, in denen ein weitgehend ungestörtes Arbeiten möglich ist. „Die Rahmenbedingungen für Konzentration sind zu Hause schlichtweg schlechter“, sagt Kiegelmann.
Eine positive Herausforderung für einige Lernende sei, dass Studierende sowie Schülerinnen und Schüler nun freier seien in der Zeiteinteilung ihrer Lernarbeit. Diese Freiheit übe Zeitmanagement und Abwehr von Störungen. Denn die sozialen Beziehungen in oft engen Privatwohnungen erforderten von allen Zusammenlebenden, Bedürfnisse und Notwendigkeiten für Ruhe anzuerkennen oder auch einzufordern.
„Lehrende und Lernende sind gerade Teil eines großen Reallabors Digitale Lehre. Sie machen jede Menge Erfahrungen, die auch die Erforschung digitaler Lehre voranbringen können“, so die Wissenschaftlerin. So änderten sich beispielsweise in einigen Lehr-Lernbeziehungen gerade die Rollengefüge, „weil Lehrende und Studierende gleichzeitig lernen, wie sie die Herausforderungen der Umstellung meistern können.“
Und die Lernformen Voneinander Lernen, Miteinander Lernen und Übereinander Lernen sieht Prof. Dr. Kiegelmann aktuell ergänzt durch eine vierte Form, das Füreinander Lernen. Etwa wenn Eltern sich in Homeschooling und Schulstoff einarbeiten, um ihre Kinder zu unterstützen. Außerdem biete der Digitalisierungsschub die Chance, Menschen ein Hochschulstudium zu ermöglichen, die bisher teilweise ausgeschlossen waren. „Wir sollten die Chance in der Krise nutzen, Ängste ernstnehmen und Freiraum zulassen“, sagt Prof. Dr. Kiegelmann.
Autor:Regina Thelen aus Karlsruhe |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.