Schnellerer Netzausbau angestrebt
Herausforderungen und Lösungen auf dem Strommarkt

Foto: Symbolbild MonikaP/pixabay.com

Region. Das Umweltministerium des Landes hat Auswirkungen und Folgemaßnahmen einer Trennung der einheitlichen deutschen Stromgebotszone für Baden-Württemberg untersuchen lassen. Die "Unwucht" im Stromsystem möchte das Land durch schnelleren Netzausbau statt durch höhere Preise in den Verbrauchszentren des Südens beseitigen.

Die Studie des "Beratungsunternehmens Frontier Economics Ltd." (Hier als PDF) kommt zu dem Schluss, dass die Herausforderungen des deutschen Stromsystems hin zu Klimaneutralität und günstiger grüner Energie mit geringerer Eingriffstiefe und weniger Nebenwirkungen gelöst werden können als durch die Aufteilung der heute bestehenden einheitlichen deutsch-luxemburgischen Stromgebotszone.

Anlass

Die "Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden" (ACER) untersucht aktuell verschiedene Konfigurationen, ob und gegebenenfalls wie die einheitliche deutsche Stromgebotszone aufgeteilt werden sollte. Das Ergebnis dieser Untersuchung und eine entsprechende Empfehlung bezüglich der deutschen Gebotszone wird für Dezember 2024 erwartet.

Ausgangslage

Erzeugung von Strom findet heute in bestimmten Situationen überproportional im Norden und Osten der Republik, Verbrauch überproportional in den industriellen Zentren des Südens und Westens statt.
Das Energiesystem wandelt sich von einem zentralisierten fossilen System mit Großkraftwerken hin zu einem mehr dezentralen erneuerbaren Energiesystem mit vielen kleinen Erzeugungsanlagen.

Für die Wertschöpfung vor Ort ist die Lokalisierung von Stromerzeugung eine gute Entwicklung. Sie macht das neue Gesamtsystem aber in der Tat schwieriger zu steuern, als das bisherige System mit einer begrenzten Zahl an Kraftwerken.
Derzeit noch unzureichende Leitungskapazitäten machen an manchen Tagen Netzeingriffe möglich – etwa wenn im Norden mehr Windstrom produziert wird als in die Verbrauchszentren im Süden abfließen kann. Die Netzbetreiber veranlassen dann, dass im Norden – in Transportrichtung vor dem Engpass – die Erzeugung abgeregelt und hinter dem Engpass steuerbare Erzeugung hochgefahren wird (meist durch fossil betriebene Kraftwerke).
Dieser Eingriff durch die Netzbetreiber wird Redispatch genannt.

Der erneuerbare Strom wird auch dann vergütet, wenn er im Engpassmanagement abgeregelt werden musste. Gleichzeitig wird beim Redispatch der Strom vergütet, der auf Anweisung der Netzbetreiber eingespeist wurde, um den Engpass zu heilen. Hierbei handelt es sich meistens um konventionelle Kraftwerke. Das Engpassmanagement kostet Geld und verursacht Kohlenstoffdioxid (CO2)-Emissionen. Das stelle den Strommarkt physikalisch und finanziell vor Herausforderungen, die gelöst werden müssen.

Lösungen jenseits einer Aufspaltung

Unterschiedliche Börsen-Preise sollen in der Zone mit höheren Preisen den Bau von Speichern oder Anlagen zur Erzeugung attraktiver machen. Diese Anreize erreichen allerdings nur Akteure, die auch an der Strombörse aktiv sind – also tendenziell eher große Player und nicht die Bürgerenergiegenossenschaften Baden-Württembergs. Höhere Preise treffen dagegen alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Das Ergebnis der Strommarktmodellierungen der Gutachter zeigt, dass in der südlichen Zone die durchschnittlichen Strompreise um etwa zehn Euro pro Megawattstunde im Jahr 2025 und um sechs Euro pro Megawattstunde im Jahr 2030 höher sein könnten als in der nördlichen Zone.

Wirksamstes Mittel, um Netzkosten und CO2 einzusparen ist der Netzausbau – und er ist in vollem Gange: Alle Abschnitte von der neuen Nord-Süd-Stromautobahn SuedLink sind im Genehmigungsverfahren, einige sind bereits genehmigt (darunter alle Abschnitte in Baden-Württemberg). In weiten Teilen sind Suedlink wie auch die zweite neue große Trasse Ultranet in Bau. Der Übertragungsnetzbetreiber Amprion beziffert das Einsparpotential durch die Inbetriebnahme von A-Nord/Ultranet auf eine Milliarde Euro pro Jahr. Die Ersparnis ergibt sich aus weniger Redispatch-Eingriffen ins Netz.

Die Argumentation für eine Trennung von Stromgebotszonen übersieht, dass marktgetriebene Anpassungen nicht unmittelbar realisiert werden. Planungs- und Umsetzungszeiten verhindern das jedoch in der realen Wirtschaftswelt. Der Markt wirkt stark zeitversetzt.

Der Bau von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs(HGÜ)-Leitungen zeigt das nach Ansicht der Gutachter eindrücklich. Ursprünglich sollten sie pünktlich zum Atomausstieg fertig sein. Durch politische Bremsmanöver in der Vergangenheit haben sich die Vorhaben jedoch stark verzögert. Im Strommarkt sind die politischen Rahmenbedingungen entscheidend. Es braucht politische Initiativen, um Netz-, Erzeugungs- und Speicherkapazitätsausbau voranzubringen. Falsche politische Rahmenbedingungen konterkarieren Marktmechanismen, die zudem erst auf Jahre hinaus ihre Wirkung entfalten.

Energieministerin Thekla Walker kommentiert: „Wir wollen die Probleme real lösen statt virtuell. Die Unwucht im Stromsystem beseitigen wir durch schnelleren Netzausbau. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet in Baden-Württemberg ebenfalls voran. Die Ausbauziele bei der Photovoltaik werden seit mehreren Jahren übertroffen. Auch bei der Windenergie sind so viele Projekte genehmigt oder in Verfahren, dass die notwendigen Kapazitäten in den kommenden Jahren aufgebaut sein werden. Wir haben einen guten Lauf. Höhere Strompreise für starke Verbraucher sind in dieser Situation weniger Peitsche für einen noch schnelleren Ausbau, sondern eher Knüppel zwischen die Beine einer derzeit hart im Wettbewerb stehenden Wirtschaft.“

Alternative Ansätze

Der Staat sollte seine Regulierungskompetenz bei der Kraftwerksstrategie nutzen, um zusätzliche Kapazitäten im Sinne des Gesamtsystems Deutschland zu schaffen.

Ministerin Thekla Walker sagte: „Die Einführung neuer Gebotszonen mit mehrjähriger Übergangsfrist und Ausgleichsmaßnahmen ist ein komplizierter und bürokratischer Eingriff ins Marktsystem. Als unternehmerisch denkender Staat sollten wir stattdessen den Aufwuchs erneuerbarer Energien als auch von Pufferkraftwerken durch regionale Förderfaktoren dort anzuregen, wo sie den größten Nutzen im deutschen Stromnetz entfalten. Die Kraftwerksstrategie des Bundes denkt bereits in diese Richtung und muss in diesem Sinne weiter ausdifferenziert werden.“

Die systemdienliche Anreizung von Pufferkraftwerken, die mit Gas und später Wasserstoff Strom produzieren, wenn die Menge erneuerbaren Stroms nicht ausreicht, erfolgt dann unter Garantie in Süddeutschland und nicht nur als unsichere mittelbare Folge schwer vorhersehbarer Börsenpreisentwicklungen

Fazit

Die gewünschten Preissignale (höherer Strompreis sorgt für Sog Richtung mehr Erzeugung) einer Strompreiszone können auch negative Folgen haben, wenn sie die aus Klima-Sicht notwendige Elektrifizierung von industriellen Prozessen oder die Nutzung von Elektromobilität und Wärmepumpen, die heute noch mit fossilen Energien wie Gas, Benzin und Diesel angetrieben werden, verzögern.

Akteure wie potentielle Betreiber von Gaskraftwerken oder Speichern würden nur dann auf die Preissignale in Bezug auf ihre Standortwahl reagieren, wenn sie davon ausgehen können, dass die Unterschiede in den Preisniveaus und -strukturen zwischen den Gebotszonen von dauerhafter Natur sind. Vor dem Hintergrund des voranschreitenden Netzausbaus ist dies allerdings nicht gesichert.

Die Gebotszonentrennung schafft für einen Übergangszeitraum insgesamt höhere Kosten für Wirtschaft und Verbraucher, die Mehrkosten im Süden werden nicht durch die geringeren Kosten im Norden ausgeglichen, obwohl an der Lösung des realen Problems bereits durch den Netzausbau gemeinsam gearbeitet wird.

Der Prozess bringt zudem hohe Transformations- beziehungsweise Bürokratiekosten mit sich: Dies sind vor allem Umstellungskosten von Unternehmensprozessen, Verträgen der Marktteilnehmer oder IT-Systemkosten beispielsweise bei den Übertragungsnetzbetreibern.
Eine von ENTSO-E in Auftrag gegebene Studie schätzt diese Kosten für Deutschland auf rund ein bis 2,5 Milliarden Euro.

Eine Gebotszonentrennung wäre in Teilen eine Abkehr vom Solidaritätsprinzip bezüglich der Kosten und Nutzen der Energiewende: Die Verbraucher im Süden des Landes müssten über die höheren Strompreise zu einem höheren Anteil die Kosten der Transformation des Stromsystems tragen.

Die Solidarität in die umgekehrte Richtung (Regionen mit hoher Erzeugung von Erneuerbaren Energien haben höhere Netzentgelte) lässt sich auch durch direkten, effizienten Eingriff in die Verteilung von Netzentgelten im Gesamtnetz erreichen. Daran arbeitet die Bundesnetzagentur bereits.

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