Heimatgeschichte
Erste Hochstraße Europas: Bau nach amerikanischem Vorbild
Ludwigshafen. Seit 65 Jahren führt die Hochstraße Süd den Verkehr über eine Hauptverkehrsachse nach Westen. Das war auch Ziel der 1981 fertiggestellten Hochstraße Nord. Die gigantischen Stahlbetonbauten, die über eine Länge von 2.000 Metern den Verkehr über die Innenstadt und den Stadtteil West hinwegführen, waren Teil des Projekts Visitenkarte, das die City repräsentativer machen sollte. Damit wurden Zugänge zum Rheinufer frei – und der Berliner Platz konnte neu bebaut werden.
Ludwigshafener Hochstraße Süd: Verkehrsachse nach Westen
Die Stadtplaner legten die Grundidee für eine Hochstraße Süd nach amerikanischem Vorbild Anfang der 50er an. Eine Anschlussverkehrsachse zwischen der damals einzigen Rheinbrücke und der A650 schien als Teillösung des neuen Verkehrskonzepts naheliegend. Der dichte, zunehmende Kfz-Verkehr in der Bismarckstraße und Ludwigstraße seit den 50ern verlangte eine Stadtstraße, die ihn aufnehmen konnte. Diese sollte City und Hemshof komplett entlasten. Angesichts der Bevölkerungsprognosen der prosperierenden Chemiestadt, man ging von 250.000 Einwohnern in 1990 aus, und des Pendlerverkehrs lag der Ausbau einer großen Verkehrsachse auf der Hand. Auch der Schwerlastverkehr durch die angesiedelte Industrie überforderte das Straßennetz immer mehr. In den 50er Jahren wurde das Projekt Hochstraße Süd zur Hauptaufgabe der städtischen Verkehrsplaner. Mit Planung und Bau seit Mitte der 50er wurde es zum größten europäischen Hochstraßenprojekt. Ähnliches gab es nur in USA und Australien. Die Freigabe der Pilzhochstraße 1959 und des gesamten Hochstraßensystems 1981 machte die Stadt am Rhein durch das Medienecho berühmt. Das als zukunftsweisende geltende Projekt nach amerikanischem Vorbild zog Stadtplaner und Verkehrsplaner aus ganz Europa nach Ludwigshafen, die sich ein Bild machen wollten.
Planung der Hochstraßen als Teil des Städtebauprojekts Visitenkarte
Das Städtebauprojekt Visitenkarte sollte die City wieder repräsentativ machen. Dabei griffen die Planer wie überall in deutschen Städten zu den Mitteln der Moderne. Wesentlich war dabei die Wieder- und Neubebauung der Kernstadt um den Berliner Platz. Dafür musste die Brückenauffahrt über eine Hochstraße nach Westen verlagert werden. Bei der Neubebauung der City am Berliner Platz, in der Bismarck- und Ludwigsstraße und am Rathausplatz wurden funktional gebaute Stadthäuser sowie Hochhäuser im Stil der Moderne zum Mittel der Wahl. Der Baustil prägt Ludwigshafens Erscheinungsbild bis heute wie das vieler Innenstädte, etwa Frankfurts, Mannheims, Stuttgarts oder der Städte im ehemaligen Ruhrpott. Die großen Industriezentren also, die in den Jahren vor 1945 oft auf Kriegswirtschaft umgestellt hatten. Das moderne Stadtbild birgt ungemein große Potenziale, wie man heute an der Innenstadtentwicklung Frankfurts sieht.
Die neue Hochstraße Süd, zunächst mit der 500 Meter langen Pilzhochstraße 1959 fertiggestellt, verschönerte den Stadteingang. Vor allem ermöglichte die Hochstraße eine Neuordnung der Innenstadt. Das städtebauliche Bild im Bereich der Auffahrt zur Brücke wandelte sich stark, die sich nach Westen verlagerte. Die geplante Hochstraße führte am Berliner Platz vorbei und teils darüber hinweg. Denn er sollte bald zum attraktiven Besucherhotspot werden. Es fand sich der Kaufhof-Konzern als Investor, der einen großen Rundbau am Berliner Platz baute, hinter dem der Ankerhof lverschwand. Die Tortenschachtel wurde 1960 eröffnet.
Außer am Lichtenberger Ufer gab es zu dieser Zeit noch keinen Zugang zum Fluss. Mit der Pilzhochstraße wurde der erste Durchgang am Berliner Platz geschaffen. Das Ziel, die City zusammen mit dem Rheinufer zu denken, wurde erst seit dem Wegzug des Hafens nach Süden in den Kaiserwörthhafen prägend für die Stadtentwicklung. Einige alte Bauten mussten für die Hochstraße weichen wie der alte Pfalzbau. Das ebenerdige Straßensystem konnte weitestgehend erhalten bleiben, einige Straßen verschwanden unter der neuen Trasse.
Bau der weißen Hochstraße und der Hochstraße Nord
Die einzige Rheinquerung war bereits vor ihrer Zerstörung 1943 zu dicht befahren. In den 60ern bildeten sich zur Rushhour oft kilometerlange Staus. Dies war für die Stadtplanung schon in den 50ern absehbar gewesen. Auch die neue Hochstraße Süd hatte die Verkehrsprobleme nicht lösen können. Das öffentliche Nahverkehrsnetz war überlastet, zumal am Kopfbahnhof am heutigen Rathausplatz die Züge zu lange standen. Es fehlte eine Stadtbahnverbindung zwischen Mannheim und Ludwigshafen. Es war offenkundig, dass es eine zweite Rheinbrücke brauchte, womit sich Kfz-Verkehr und Stadtbahnverkehr neu orientieren sollten.
In der boomenden und stark wachsenden Chemiestadt waren Planungen in einem Umfang nötig geworden, die sich der Bereich Stadtplanung nie hatte vorstellen können. Ein zweiter Städtebauwettbewerb wurde ausgeschrieben. Das Stadtplanungskonzept für die Fortführung der Hochstraße Süd über den neuen Bahnhof am Westend sowie für die neue Hochstraße über die Gleise Richtung A650 stammte von den beiden Gewinnern, den Stadtplanern Professor Gerd Albers und Elmar Dittmann. Zweiter wurde Albert Speer junior, dessen Hochstraßenentwurf dem Albers und Dittmanns ähnelte.
Die Konstruktion der neuen Hochstraße Nord, die von der Kurt-Schumacher-Brücke wegführte und die Anbindung an die Stadtmitte und den Hemshof war ein komplexes Projekt. Der Brückenkopf hat heute zahlreiche Auf- und Abfahrten. Mit der neuen Brücke und der Hochstraße Nord war auch ein neues Stadtbahnkonzept möglich, das Mannheim und Ludwigshafen erstmals verband.
Die Hochstraßen nach amerikanischem Vorbild entlasten die Stadtteile bis heute stark und sorgen für flüssigen Pendlerverkehr ins Umland und in die Quartiere Ludwigshafens. Der große Vorteil des Hochstraßensystems sind weniger Lärm und Abgase. Allerdings gehen die Hochstraßen auf Kosten des freien Landschaftsraums und der Freifläche. Leider vergaß man beim Hochstraßenbau die Gestaltung des Areals unter und um die Hochstraße. Es gab Ideen für ein Shopping-Center, wo etwa das heutige Bowling-Center steht, die nie umgesetzt wurden. Mit der ebenerdigen Helmut-Kohl-Allee und dem Abriss der alten Trasse wird eine große Freifläche frei. Um die Stadtstraße entsteht ein modernes, nachhaltiges Quartier. Für City West läuft derzeit ein Planungswettbewerb, der bis Ende Januar ein grobes Strukturkonzept liefert, das weiteren Generationen Orientierung geben soll für die Ausarbeitung konkreterer Pläne.
1981 wurde das Hochstraßensystem endgültig fertiggestellt. Damit wurde das gesamte Verkehrsnetz umgestaltet, denn die Hauptverbindungsstraßen der Stadtteile Mitte und Nord waren auf die Hochstraßen auszurichten.
Abriss und Sanierung der Hochstraßen Ludwigshafen
2017 entdeckten Ingenieure statische Defizite, weshalb Laster die Hochstraße Süd nicht mehr befahren durften. 2019 entdeckte man Risse in den Pilzen 10, 11, 12 und 13. Die Stadt ordnete ab August die Sperrung für Laster und im November 2019 für alle Fahrzeuge an. Aus statischen Berechnungen ging hervor, dass die Trasse angesichts von immer mehr Rissen im Beton unter der hohen Verkehrslast einsturzgefährdet ist. Weitere Berechnungen zeigten, dass die Pilzhochstraße selbst ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen konnte. 2020 begann der Abriss eines Teilstücks.
Derzeit läuft die Ertüchtigung der weißen Hochstraße sowie der Lückenschluss. Die neue Gründung durch bis zu 20 Meter tief eingebrachten Bohrpfähle machen den Ersatzbau standsicher und tragfähig. Je vier Bohrpfähle tragen einen Betonbrückenpfeiler. Die moderne Konstruktion aus Spannstahl, elastischen Stahlrohren also, die sich durch den Beton ziehen und damit zwischen den Brückenabschnitten verspannt werden, sorgen für ein sicheres, Tragwerk. Auch das vernagelte Brettschichtholz gehört zum weit spannenden Tragwerk. Die Hochstraße wird Anfang 2025 nach Freigabe der Baustelle wieder befahrbar sein.
Auch an der Hochstraße Nord gibt es erhebliche bauliche Mängel, die die Standsicherheit beeinträchtigen. Deshalb werden einzelne Rampen und Auf- und Abfahrten immer wieder bis zur kurzfristigen Ertüchtigung gesperrt. Viele Abschnitte der Brückenkonstruktion sind zum Schutz vor Beton, der abbröckeln könnte, mit Netzen umgeben oder die darunterliegenden Flächen gesperrt. Die Gründung der neuen Westbrücke, die wie die alte Westbrücke als Teil der Hochstraße Nord über die Gleise führen wird, ist bereits abgeschlossen. Hier wurden ebenfalls Bohrpfähle eingebracht.
Die neue Stadtstraße wird leicht verschwenkt auf 860 Metern ebenerdig verlaufen. Der Brückenkopf der Kurt-Schumacher-Brücke führt den Verkehr künftig hinunter auf die ebenerdige Trasse. In Höhe der Passadenaallee wird die neue Helmut-Kohl-Allee auf die Westbrücke hinaufgeführt. Das System aus Hochstraße und Stadtstraße wird 2030 fertig gestellt werden. Im Bürgerdialog sowie in den Gremien hatte sich die Variante der ebenerdige Stadtstraße durchgesetzt, weil sie die Verkehrslast sicher trägt, ohne dass es rund alle 50 bis 70 Jahre einer Ertüchtigung bedarf wie im Fall einer Hochstraße. Langfristig entstehen so weniger Kosten. Die Breite der Trasse gibt seit Veröffentlichung der Pläne großen Anlass zur Diskussion. Einerseits soll der Schwerlastverkehr zur BASF sowie der Pendlerverkehr fließen. Andererseits halten sie Kritiker angesichts der anstehenden Verkehrswende für zu breit und kritisieren ein Fehlen an zielführenden Push- und Pullstrategien.
Mit der neuen Hochstraße Süd wird über eine S-Kurve in die Mundenheimer Straße eine neue Bahntrasse verlegt, die künftig LU Süd und Rheingönheim direkt mit Mannheim verbindet. jg
Hintergründige Heimatgeschichte
Die Reihe "Hintergründige Heimatgeschichte" zeigt stadtplanerische Pfadabhängigkeiten auf, die bis heute das Stadtbild der modernen Stadt Ludwigshafen prägen. Sie führt an historische Plätze wie den Idiotenhügel, wo Generationen von Führerscheinanfängern das Anfahren am Berg übten. Die Reihe lenkt zudem den Blick auf die Potenziale und Stärken der Stadt, die zeigen, wo die Entwicklung hin geht.
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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