Anne-Marie Geisthardt wirbt für „Mannheim spricht“
„Mehr Orte der Begegnung etablieren“
Mannheim. Als Geschäftsführerin des Vereins Kulturparkett Rhein Neckar gibt sie in Armut lebenden Menschen die Möglichkeit, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben. Als Mitorganisatorin des Projekts „Mannheim spricht“ will Anne-Marie Geisthardt Menschen mit unterschiedlichen Meinungen miteinander in einen Dialog treten lassen. Im Interview mit dem „Mannheimer Wochenblatt“ erklärte sie ihre Motivation.
???: Waren Sie bei der Premiere im vergangenen Jahr auch schon dabei?
Geisthardt: Ich war als Teilnehmerin dabei, und diese positive Erfahrung hat mich dazu bewegt, in diesem Jahr auch bei der Organisation mitzuwirken. Ich habe meinen Gesprächspartner auf einen Kaffee getroffen und es war so, dass wir bei allen möglichen Themen unterschiedlicher Meinung waren, ob es um Homophobie, Islamfeindlichkeit oder Medienkritik ging. Im Laufe des Gesprächs hat sich gezeigt, dass unsere gegensätzlichen Auffassungen mit sehr verschiedenen biografischen Erfahrungen und Lebenssituationen zutun haben. Ich habe durch das Gespräch zwar meine Meinung nicht geändert, aber ich habe Verständnis dafür entwickelt, wie mein Gegenüber zu seiner Position kommt. Da ist mir dann auch aufgefallen, mit welcher Härte ich zuvor Urteile gefällt hatte, ohne die Konsequenzen einer politischen Entscheidung für Andere zu bedenken. Diesen Prozess fand ich bereichernd und er hat mich nachhaltig beeinflusst.
???: Und jetzt wollen Sie anderen Menschen dazu verhelfen, diese Erfahrung auch zu machen?
Geisthardt: Ich fand so spannend und wichtig was da passiert ist, so dass ich mich jetzt dafür einsetze, dass „Mannheim spricht“ noch mehr Menschen erreicht – vor allem finanziell benachteiligten Menschen, die oft vom gesellschaftlichen und politischen Leben ausgeschlossen sind. „Mannheim spricht“ ist niederschwellig, es kostet nichts und man benötigt nichts weiter als die Bereitschaft offen auf Andersdenkende zuzugehen. Das erfordert im ersten Moment etwas Mut, aber es macht auch Spaß und ist eine intensive Erfahrung. Im Kulturparkett entwickeln wir auch immer wieder Formate, bei denen es um außergewöhnliche Begegnungen zwischen Menschen geht, die sich sonst im Alltag normalerweise nicht begegnen, z.B. aktuell mit unserem Kultur-Tandem-Programm, bei dem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu zweit Kulturveranstaltungen besuchen, Unterschiede treten hinter das gemeinsame Interesse an Kunst und Kultur zurück.
Ich habe in meiner Arbeit immer wieder mit Menschen zu tun, die gar nicht so recht wissen, wohin mit ihrer Wut. Und da finde ich es eben wichtig, dass man reale Räume schafft, wo einem jemandem gegenübersitzt, der einem mal zuhört, der vielleicht auch eine andere Meinung vertritt als ich, aber mit dem ich am Ende die Erfahrung teile, dass wir uns ein bisschen besser verstehen. Deshalb ist es auch wichtig, dass dieses Format eine möglichst breite Beteiligung erfährt, und dass wirklich auch die Leute kommen, die sich sonst weniger einbringen (können), denn sonst wäre es ja doch nur eine Pseudo-Beteiligung.
???: Was glauben Sie, wo diese Wut herkommt?
Geisthardt: Ich glaube, sie resultiert aus Ohnmachtserfahrungen, aus dem Gefühl, dass man am kürzeren Hebel sitzt, etwa bei Menschen, die im Umgang mit dem Jobcenter Sanktionen erfahren oder nicht durchblicken mit der Bürokratie.
???: Ist die Redewendung von der Spaltung der Gesellschaft nur eine Floskel oder gibt es diese Spaltung wirklich?
Geisthardt: Klar ist es so, dass die Lebenswirklichkeiten für verschiedene Gruppen in unserer Gesellschaft sehr unterschiedlich sind und auch die politischen Gräben sind größer geworden. Die Coronazeit hat diese Tendenz auch dadurch verstärkt, dass unser Kulturleben lange Zeit stark eingeschränkt war. Wir hatten in den letzten zwei Jahren kaum Gelegenheiten mit Menschen außerhalb unserer Filterblase in Kontakt zu treten. Ich nehme aber aktuell in mir und um mich herum aber auch das Bedürfnis wahr, wieder mehr auf andere zuzugehen und den Horizont zu erweitern. „Mannheim spricht“ setzt hier an. Das Gespräch öffnet einen und weckt Empathie für Menschen mit ganz andere Lebenserfahrungen. Wenn man einen Menschen vor sich hat, der eine Meinung hat, bekommt man im Gespräch irgendwann auch heraus, wie er zu dieser Meinung gekommen ist. Da wird ein Prozess in einem selbst angestoßen, noch mal darüber nachzudenken, ob ich mich in der Situation meines Gegenübers nicht vielleicht für den gleichen Weg entschieden hätte. Das stärkt auch die Bereitschaft Kompromisse einzugehen.
???: Der Umgangston, vor allem in Sozialen Medien, ist um einiges rauer geworden, die Fronten scheinen verhärtet zu sein.
Geisthardt: Das empfinde ich auch so. Umso wichtiger wäre es deshalb, dass im Herzen unserer Stadt nicht nur Konsumtempel stehen, sondern Orte der Begegnung etabliert und kultiviert werden, dass man zum Beispiel Diskussionscafés einrichtet und mehr kulturelle und soziale Orte schafft, die unseren Gemeinsinn und damit letztlich auch unsere Demokratie stärken. Oft sind gerade kleine Formate sehr wirksam und nachhaltig, darum braucht es viele davon. Wir im Kulturparkett kooperieren zum Beispiel mit Initiativen wie „Shared Reading“ oder auch der „Human Library“, bei der Menschen zu lebendigen Büchern werden. Das ist ein tolles Begegnungsformat aus Dänemark, das ähnlich wie „Mannheim spricht“ funktioniert: Man kann sich ein menschliches Buch in der Form ausleihen, dass man einem Menschen trifft, der mir im Vieraugengespräch von persönlichen Erfahrungen, oft auch von Diskriminierungserfahrungen erzählt. Dahinter steckt die Idee, dass man empathischer und offener für Andere wird, und auch mehr Vertrauen in das aufbaut, was uns erstmal fremd erscheint. Wir Menschen sind im Grunde empathische Wesen, aber zunächst ist mir der am Nächsten, der mir ähnlich ist. Menschen, die anders denken, oder die woanders herkommen, sind einem erstmal ein bisschen suspekt und machen einem vielleicht auch Angst. Vor daher ist es wichtig, dass man Kontakte und Begegnungen verstärkt, damit man spüren kann, wir sind alle Menschen und sind uns von Kern her alle ähnlich. Wir alle haben ähnliche Bedürfnisse nach Sicherheit und danach, uns unsere Umfeld und unsere Lieben zu schützen. Diese Erfahrung muss man machen, und zwar nicht im Internet, sondern im direkten menschlichen Kontakt.
???: Warum sind diese Gespräche noch so wichtig?
Geisthardt: Wir sehen aktuell wie gefährdet Grundrechte und insbesondere auch Meinungsfreiheit ist, und damit meine ich jetzt nicht in Deutschland, sondern in wirklich autokratischen Systemen, gegen die wir unsere Demokratie mit allen Kräften verteidigen müssen. Meinungsfreiheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein hohes Gut, dass wir schützen und auch nutzen sollen. Gerade in diesen Zeiten verstehe ich „Mannheim spricht“ als eine Einladung unsere Meinungsfreiheit wahrzunehmen und die Chance, sich zu kontroversen Themen frei und friedlich äußern zu können zu nutzen.
???: Welche Resonanz erfahren Sie, wenn Sie Menschen ansprechen, ob sie bei „Mannheim spricht“ mitmachen wollen?
Geisthardt: Die meisten Menschen finden das Format spannend. Natürlich gibt es auch Menschen, die zu gefrustet sind und sagen, nein, da will ich nicht mitmachen, aber ich versuche trotzdem, möglichst viele zu erreichen. Ich bin der Meinung, „Mannheim spricht“ sollte regelmäßig stattfinden, damit es auch nachhaltig ist. Und wichtig ist natürlich auch, dass aus „Mannheim spricht“ auch ein „Mannheim macht“ wird und wir die Dinge, die uns wichtig sind anpacken!
Interview: Christian Gaier
Autor:Christian Gaier aus Mannheim |
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