Trotz Omikron-Welle
Schulbeginn in Baden-Württemberg in Vollpräsenz
Mannheim. Präsenzunterricht bleibt trotz der nahenden Omikron-Welle das oberste Ziel der Kultusminister. Am Montag, 10. Januar 2022, beginnt die Schule in Baden-Württemberg wieder.
Präsenzunterricht
„Wir halten am Präsenzunterricht fest“, so war es in einem Brief des Kultusministeriums an die Schulen und Schulkindergärten im Land zu lesen. Die am Freitag, 7. Januar 2022, veröffentlichte Landesverordnung sieht vor, dass es für die jeweilige Schulleitung Entscheidungsspielräume gibt. Sofern der Präsenzunterricht auch unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen aus schulorganisatorischen Gründen nicht mehr vollständig sichergestellt werden kann, können die Schulleitungen vorübergehend für einzelne Klassen, Lerngruppen, Bildungsgänge oder auch die gesamte Schule zu Fernunterricht oder Hybridunterricht (Kombination aus Präsenz- und Fernunterricht) wechseln. Auch der Ganztagsbetrieb könne dann eingeschränkt werden. Allerdings muss das Schulamt oder das Oberschulamt die Maßnahmen vorab genehmigen und es muss eine Notbetreuung eingerichtet werden. Eine Aussetzung der Präsenzpflicht, wie sie es im letzten Jahr gab, gibt es nicht.
Testpflicht
In der ersten Woche nach den Ferien sollen sich alle nicht geboosterten Schülerinnen und Schüler täglich testen lassen, wenn ihre Schulen mit Antigenschnelltests arbeiten. Sollte die Schule PCR-Pooltests verwenden, sollte auch dort nach Möglichkeit mit weiteren Antigenschnelltests gearbeitet werden. Ab der zweiten Woche bis zu den Faschingsferien stehen dann drei Antigenschnelltests oder zwei PCR-Testungen für die Kinder und Jugendlichen auf dem Pflichtprogramm, wenn sie nicht geboostert sind. Beschäftigte an Schulen, in Kitas oder der Kindertagespflege, die keine Auffrischimpfung haben, müssen sich an jedem Präsenztag testen lassen.
Maskenpflicht
Auch nach den Ferien gilt an den Schulen weiterhin die Maskenpflicht. Allerdings genügt es, eine medizinische Maske zu tragen.
Quarantäne
Bund und Länder haben bei ihrer Sitzung am Freitag, 7. Januar 2022, kürzere Quarantäne- und Isolationszeiten beschlossen. So soll es für Kontaktpersonen, die eine Auffrischungsimpfung haben, frisch doppelt geimpft sind, geimpft und genesen oder frisch genesen sind, keine Quarantäne mehr geben. Für alle anderen sollen Isolation oder Quarantäne zu Infizierten in der Regel nach zehn Tagen enden, wenn die Personen keine Symptome mehr zeigen. Es besteht dann die Möglichkeit, die Zehn-Tages-Frist zu verkürzen und sich nach sieben Tagen freizutesten - mit einem PCR- oder zertifizierten Schnelltest. Durch die verkürzten Quarantänezeiten sollen wichtige Versorgungsbereiche am Laufen gehalten werden, falls Infektionen sprunghaft zunehmen.
Schülerinnen und Schüler sowie Kinder in den Angeboten der Kinderbetreuung können sich allerdings bereits nach fünf Tagen als Kontaktpersonen aus der Quarantäne freitesten - mit einem PCR- oder Schnelltest. Offenbar sollen auf diesem Wege Fehlzeiten im Präsenzunterricht vermindert werden.
Der Deutsche Lehrerverband kritisiert die geplante Neuregelung der Corona-Quarantäne für Schüler*innen. „Wenn diese Aufweichung der Quarantäne-Regeln dazu führt, dass mehr Infizierte unerkannt in Schulen herumlaufen, wird der Schuss nach hinten losgehen“, sagte Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands, den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Freitag, 7. Januar 2022. Das „Freitesten“ durch relativ unsichere Antigentests erscheine problematisch, vor allem weil diese Tests in den ersten Tagen einer Infektion nicht so aussagekräftig seien.
Durchseuchung der Kinder
Sowohl Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach als auch und der Chef-Virologe der Berliner Charité Prof. Christian Drosten haben auf die Gefahr auch für Kinder und Jugendliche durch die Omikron-Variante des Coronavirus hingewiesen und sich gegen eine Durchseuchung der Schulen ausgesprochen. Drosten wies im NDR-Podcast darauf hin, dass sich bereits das Delta-Virus deutlich in den Schulen ausgebreitet hatte und widersprach damit Behauptungen, das Coronavirus würde sich in den Schulen nicht verbreiten.
Lauterbach äußerte sich unmittelbar nach dem KMK-Beschluss per Twitter: „Viele denken: Omikron verläuft milder, weshalb keine Durchseuchung? Die billige Impfung… Das wäre ein großer Fehler, viele Menschen würden schwer erkranken mit oft bleibenden Schäden. Für unsere Kinder wäre es ein absolut unverantwortbares Experiment.“
Allerdings hat er als Bundesgesundheitsminister wenig Einfluss darauf, was in den Schulen geschieht – das ist Ländersache.
Präsenz um jeden Preis
In einer Sonderschalte hatten sich die Kultusministerinnen und -minister der Länder am Mittwoch 5. Januar 2022, über die Situation an den Schulen vor dem Hintergrund der wachsenden Omikron-Welle beraten. Vor dem Treffen machten Vertreter mehrerer Bundesländer deutlich, dass Einschränkungen im Schulbetrieb gar nicht zur Debatte stünden, sie forderten stattdessen eine verkürzte Quarantänezeit für Schüler*innen und Lehrer*innen, damit der Präsenzbetrieb aufrechterhalten werden könne.
Ganz offen sagte Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, nach der Bund-Länder-Konferenz am Freitag, 7. Januar 2022, worum es bei den „offen Schulen“ vor allem geht: „Wir haben uns auch dazu bekannt … alles dafür tun wollen, die Schulen entsprechend offen zu halten, die Kinderbetreuung auf der einen Seite zu sichern, aber auch eben den Kinderschutz, den Gesundheitsschutz über die Beschulung, über die Angebote zu gewährleisten. Das ist auch wichtig, um die Versorgung in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, denn Menschen brauchen gute Kinderbetreuung, damit sie ihrer Arbeit nachgehen können.“
S3-Leitlinien – Maßnahmen an den Schulen
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) twitterte am 6. Januar 2022 zum Thema „Corona und Schulen“: „Das strikte Einhalten der S3-Leitlinien-Empfehlungen ist für Bund & Länder unerlässlich. Gutsitzende FFP2-Masken schützen vor der Omikron-Variante sehr gut.“
Seit Februar 2021 liegt eine S3-Leitlinie für „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle einer SARS-CoV-2-Übertragung an Schulen“ vor, die eine wissenschaftlich fundierte und evidenzbasierte Handlungsempfehlung zur Verfügung stellt. Diese wurde von einer repräsentativen Gruppe von Wissenschaftler*innen, Entscheidungsträger*innen aus Fachgesellschaften, Verbänden und Organisationen sowie Eltern-, Schüler- und Lehrervertretern erarbeitet.
Bereits das Standard-Maßnahmenpaket, das laut Leitlinie immer gelten sollte, wird in den Schulen nur bedingt eingehalten. So wird zwar das Tragen einer Maske und das Lüften (meistens) umgesetzt. Allerdings ist es in einer voll besetzten Klasse nicht möglich, Abstand einzuhalten. Gegessen wird oft ohne Maske im Klassenraum. Und zur Teilnahme am Schulbesuch genügen OP-Masken.
Entgegen der Leitlinie wird auch bei steigenden Infektionszahlen in der Bevölkerung eine Reduktion der Schüler*innenzahl nicht umgesetzt, beispielsweide durch eine Kohortierung. Bei hohem Infektionsgeschehen soll zusätzlich zur Kohortierung von Klassen/Jahrgängen eine gestaffelte Öffnung nach Jahrgängen und/oder eine Halbierung der Klassen erfolgen. Bei sehr hohem Infektionsgeschehen sollen, laut Leitlinie, alle diese Maßnahmen gemeinsam umgesetzt werden.
In den Schulen wird nun auf ein regelmäßiges Testen als Maßnahme gegen die Ausbreitung des Coronavirus gesetzt, in der ersten Woche an jedem Tag. Allerdings ist noch nicht geklärt, wie gut die gängigen Antigentests, die durch einen Nasenabstrich erfolgen, bei der neuen Virusvariante Omikron funktionieren. Es gibt Anzeichen dafür, dass sie erheblich seltener positive Fälle herausfiltern können.
Es ist also festzuhalten, dass von den Empfehlungen der S3-Leitlinien so gut wie keine Maßnahmen umgesetzt werden. Und dabei gingen diese Empfehlungen noch von den weniger ansteckenden Virusvarianten aus und davon, dass vor der Anwendung der Maßnahmen alle sonstigen Möglichkeiten in der Gesellschaft zur Anwendung kommen sollten. bas
Kommentar von Charlotte Basaric-Steinhübl
Die Omikron-Welle naht. Aus den Nachbarländern ist zu hören, was bei uns bald der Fall sein wird: Exorbitant steigende Infektionszahlen. Omikron ist eine extrem ansteckende Virusvariante. Anstatt nun den Schutz der Schüler*innen und aller am Schulleben beteiligten Menschen zu erhöhen, wird vom Bund die Quarantänezeit verkürzt und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass infizierte Menschen wieder in die Schule gehen.
Die Kultusminister halten sich nicht an die S3-Leitlinie. Es werden einige grundlegende Dinge wie Lüften und Händewaschen umgesetzt, es gibt aber fast keine Luftfilter, keine Kohorten, kein Wechselunterricht, keine gestaffelten Anfangszeiten, keine größeren Räume. OP-Masken schützen nur begrenzt, trotzdem werden diese als ausreichend erachtet. Als „Schutz“ wird auf Tests gesetzt, von denen nicht sicher ist, ob sie Omikron überhaupt sicher erkennen können – die Anzeichen sprechen dagegen.
Außerdem müssen Kontaktpersonen, deren 2. oder 3. Impfung noch nicht länger als drei Monate her ist, nicht mehr in Quarantäne. Man weiß, dass auch frisch geboosterte Menschen sich mit Omikron anstecken und auch Überträger sein können, daher werden die Testungen nur wenig bewirken können. Da die „Kinderimpfkampagne“ nur sehr stotternd in Gang gesetzt wurde, sind viele Kinder auch noch nicht geimpft. Außerdem weiß man, dass es eine dritte Impfung braucht, um gegen Omikron geschützt zu sein. Diese ist bei den meisten Kindern in weiter Ferne.
Von einem guten Infektionsschutz und der Schule als einem „sicheren Ort“ kann man daher definitiv nicht sprechen. Die Kultusminister der Länder scheinen auf das Konzept der Durchseuchung zu setzen.
„Aber bei Kindern ist das doch nicht schlimm?“ Auf den ersten Blick scheint das Virus für Kinder relativ harmlos zu sein. Allerdings ist Covid-19 eine Multisystemerkrankung, die sich auf diverse Organe auswirken kann. Es gibt das PIM-Syndrom, welches Kinder erst einige Wochen nach der Infektion bekommen können und bei dem viele Kinder intensivpflichtig werden. Long-Covid bei Kindern ist noch nicht gut erforscht, aber definitiv existent – ein unterer einstelliger Prozentsatz leidet daran. Das klingt wenig – rechnet man das jedoch auf die Zahl der infizierten Kinder hoch, werden sehr viele Kinder erkranken. Das heißt dann für die Betroffenen: von Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsstörungen bis hin zu neurologischen Ausfällen ist alles drin. Neuste Studien deuten außerdem auf ein erhöhtes Diabetes-Risiko bei Kindern hin.
Die Landesregierung Baden-Württemberg hat beschlossen, dass die Präsenzpflicht nicht ausgesetzt wird. Den Eltern wird also das Recht aberkannt, ihre Kinder vor einer Infektion zu schützen. Wer sein Kind aufgrund des hohen Ansteckungsrisikos zuhause lässt, muss mit einer Strafe rechnen. Man hat also als Elternteil eines schulpflichtigen Kindes in Baden-Württemberg nur zwei Möglichkeiten: Entweder man wählt für das Kind die Infektion. Oder für sich selbst ein Verfahren wegen Nichteinhaltung der Schulpflicht. bas
Autor:Charlotte Basaric-Steinhübl aus Ludwigshafen |
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