Interview der Woche
Eberhard Dittus: Gedenkstätte für NS-Opfer

Eberhard Dittus vor dem Gebäude der ehemaligen Gestapo-Zentrale in der Konrad-Adenauer-Straße mit dem Porträt von Josef Bürckel.   | Foto: Markus Pacher
  • Eberhard Dittus vor dem Gebäude der ehemaligen Gestapo-Zentrale in der Konrad-Adenauer-Straße mit dem Porträt von Josef Bürckel.
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Neustadt. Er gilt in Neustadt und weit über die Grenzen hinaus als Galionsfigur und wichtigster Aufklärer, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte Neustadts während der NS-Zeit geht. In wenigen Wochen übergibt Eberhard Dittus sein Amt als 1. Vorsitzender des von ihm gegründeten Fördervereins „Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt an der Weinstraße“ aus gesundheitlichen Gründen an jüngere Hände. Im November wird die Arbeit der Gedenkstätte und das unermüdliche Wirken von Eberhard Dittus mit dem Kulturpreis der Stadt Neustadt gewürdigt. Wir sprachen mit dem 67-jährigen Diakon und Religionspädagogen über die Rolle Neustadts während der NS-Zeit und warum es so wichtig für den Erhalt unserer Demokratie ist, die junge Generation mit der Geschichte zu konfrontieren.

Von Markus Pacher

??? Herr Dittus, wann und wie entstand die Idee, in Neustadt eine Gedenkstätte für NS-Opfer einzurichten?
Eberhard Dittus: Die Idee entstand 1995 bei einem erlebnispädagogischen Konfirmandenprojekt der Martin-Luther-Kirche unter dem Motto „Das Geheimnis der Versöhnung ist die Erinnerung“. Mit Heiko Müller hatten wir dann die Ergebnisse des Projekts, in dem es um die Aufarbeitung der Geschichte von Neustadt zwischen 1933 und 1945 ging, vorgestellt. Ein Zustand des Ruhens folgte. Fünf Jahre später bekam ich einen Anruf von einer älteren Dame aus Heidelberg, die im Nachlass ihres in Neustadt inhaftierten Vaters eine Liste der Häftlinge des Neustadter Konzentrationslagers mit 350 Namen fand. Diese Liste reichten wir an das Denkmalamt weiter, das daraufhin die Turenne-Kaserne unter Denkmalschutz stellte. Im gleichen Jahr kaufte Hornbach die Kaserne und es kam zu ersten Gesprächen zwischen mir und dem neuen Eigentümer. Als Beauftragter für Friedensarbeit der Landeskirche konnte ich das Projekt im Rahmen meines Berufs vorantreiben. 2009 gründete ich den Förderverein „Gedenkstätte für NS-Opfer“, den ich seitdem als 1. Vorsitzender im Ehrenamt leite. Die Eröffnung der Gedenkstätte fand schließlich im März 2013 als Geschichtswerkstatt im Arrestgebäude der ehemaligen Turenne-Kaserne statt.

??? Warum ist die Auseinandersetzung mit unserer Stadt bei der Aufarbeitung der NS-Zeit so wichtig?
Eberhard Dittus: Ich halte Neustadt hinsichtlich unserer Thematik für die wichtigste Stadt in Rheinland-Pfalz, da ihr die Rolle der Gauhauptstadt zukam und man am Beispiel des in der Villa Böhm amtierenden Gauleiters Josef Bürckel sehr gut sehen kann, wie die NS-Zeit funktioniert hat. Man muss nicht nach Berlin fahren, um die damaligen Mechanismen verstehen zu lernen. So wurde in Neustadt bereits sechs Wochen nach der Machtübernahme durch die Nazis ein Konzentrationslager für politisch Verfolgte errichtet. Aufgrund seiner volksnahen Art, seiner Heimatverbundenheit und seiner Rolle als geschickter Vermarkter unseres wichtigsten Kulturgutes, des Weins, erfreute sich Bürckel einer großen Beliebtheit. Viele vergessen darüber, dass er für die Gurs-Transporte verantwortlich zeichnete und die Gestapo-Zentrale nach Neustadt geholt hat.

??? Worin sehen Sie ihre Hauptaufgabe?
Eberhard Dittus: Unser Motto lautet: „Erinnern, gedenken, lernen.“ Wir wollen mit unserer Arbeit einen Beitrag zur Demokratiebildung leisten. Denn die Geschichte zeigt uns, wie schnell unsere Demokratie kippen kann. Wie heißt es so schön: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dabei lehrt uns die Wirklichkeit auf eine sehr schmerzliche Art, dass die Würde des Menschen sehr wohl „antastbar“ ist. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen.

??? Was erwartet die Besucher*innen der Gedenkstätte für NS-Opfer?
Eberhard Dittus: Wir sind ja nicht nur Gedenkstätte, sondern gleichzeitig auch ein Museum. Besichtigt werden können nicht nur die damaligen Räumlichkeiten wie Waschraum und Einzelzelle, sondern auch die Dauerausstellung mit ihren großen Schautafeln, die viele Dokumente aus der NS-Zeit zeigen, darunter Archivunterlagen über die inhaftierten Menschen, meist politische Gegner der Nazis. Als wichtigste Quelle dient uns das Landesarchiv Speyer. Ohne dieses Archiv hätten wir die ganzen Informationen nicht, mit denen wir arbeiten. Daneben gibt es auch immer wieder Sonderausstellungen, wie zum Beispiel die momentan laufende Ausstellung über die Situation der Naturfreunde in der NS-Zeit. Auch hat sich die Gedenkstätte als kultureller Veranstaltungsort etabliert, in dem z. B. Lesungen, Vorträge, Workshops etc. angeboten werden. Darüber hinaus bietet der Förderverein auch Führungen außerhalb der Gedenkstätte an, wie z. B. spezielle Stadtführungen zu ehemaligen Standorten des jüdischen Lebens in Neustadt oder jüdischen Friedhöfen. Außerdem laden wir regelmäßig zu Gedenkveranstaltungen in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wie zum Beispiel am 27. Januar in die Stiftskirche, anlässlich des bundesdeutschen Gedenktags zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

??? Woher kommen die Besuchergruppen?
Eberhard Dittus: Als außerschulischer Lernort sind es vor allem Schulklassen aus Neustadt und der ganzen Region, die unsere Gedenkstätte aufsuchen. Auch bekommen wir häufig Besuch von Kirchen-, Erwachsenen- oder Konfirmanden-Gruppen.

??? Wie reagieren die Jugendlichen auf die Konfrontation mit der Geschichte?
Eberhard Dittus: Die Schülerinnen und Schüler verbringen ihre Zeit natürlich lieber bei uns als im Klassenzimmer. Bei uns bekommen sie an einem authentischen Ort Geschichte vermittelt, was sie hochmotiviert und mit großem Interesse sehr dankbar annehmen.

??? Stoßen Sie mit ihrer Aufklärungsarbeit manchmal auf Kritik?
Eberhard Dittus: Ich höre immer noch Kritik, aber sie ist nicht mehr so massiv wie am Anfang. Etwa in dem Kommentar, die Vergangenheit doch endlich ruhen zu lassen. Die ältere Generation war ja viel näher dran - der Abstand der heutigen Enkelgeneration zur NS-Zeit ist viel größer. Auch hat sich die Neonazi-Szene deutlich abgeschwächt. Insbesondere aus diesem Lager hatte ich persönliche Androhungen bekommen.

??? Welche künftigen Ziele verfolgt der Förderverein?
Eberhard Dittus: Als Leuchtturmprojekt von Rheinland-Pfalz soll neben der Turenne-Kaserne die Villa Böhm und der ehemaligen Gestapo-Keller in der Konrad-Adenauer-Straße in einer Art Neustadter Gedenkstätten-Topographie zusammengeführt werden. Dieses Projekt liegt jetzt in den Händen der Landeszentrale für politische Bildung und ich bin froh, dass ich die Idee noch vor meinem Rücktritt als 1. Vorsitzender ins Rollen bringen konnte. Als Förderverein werden wir natürlich weiterhin kooperierend das Projekt begleiten, die Umsetzung aber anderen überlassen.

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Autor:

Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße

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