Klimamanifest Neustadt: Wege aus der Klimakrise
Neustadt. Über 2,4 Millionen Euro Fördermittel für den Klimaschutz erhält die Stadt Neustadt, nachdem der Stadtrat jüngst beschlossen hat, dem kommunalen Klimapakt des Landes beizutreten. Bis zum Jahr 2040 soll Rheinland-Pfalz unter Mitwirkung der einzelnen Kommunen klimaneutral werden. Wie dieses hehre Ziel im Falle Neustadts zeitgerecht oder gar früher erreicht werden könnte, beschreibt unter anderem ein vom Verein "Klimaaktion Neustadt" erstelltes Klimamanifest, in welchem sich die Klimaktivisten in umfassender Weise mit dem Thema "Klimawandel" beschäftigen und dazu speziell auf Neustadt abgestimmte Pläne, Forderungen und Denkanstöße für einen Ausweg aus der Krise entwickelt haben. Nachfolgend das Klimamanifest in ungekürzter Fassung.
Von Mirjam Alberti, Michel Boltz, Wolfgang Müller, Lars Nöcker, Ursula Roth und Günther Scherer
Wir fordern, dass die Stadt Neustadt ihren Beitrag dazuleistet, das Abkommen von Paris (1,5°C-Ziel) einzuhalten. Wir fordern die verantwortlichen Politiker auf, einen Plan zu erstellen, der aufzeigt, wie Klimaneutralität bis 2035 erreicht werden kann. Wir fordern demokratische Teilhabe durch Bildung eines Beratergremiums unter Teilnahme von Umweltverbänden, Handwerk, Bürger/innen, usw. Wir fordern periodische, öffentlich zugängliche und nachvollziehbare Fortschrittsberichte für zentrale Ziele: Treibhausgasemissionen, Anteil erneuerbarer Energie, energetische Sanierung kommunaler Liegenschaften.
Klimakrise – was tun?
Unbestreitbar ist die Klimakrise eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Ihre Auswirkungen sind überall zu sehen, auch bei uns in Neustadt. Die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um gegenzusteuern und die Lebensgrundlagen nachfolgender Generationen zu sichern, ist einerseits eine globale Aufgabe. Doch niemand muss die Klimakrise machtlos hinnehmen. Als haupt- oder hrenamtliche Kommunalpolitiker/innen, als Mitarbeitende in der Verwaltung, als Engagierte in Initiativen und Bewegungen, als aktive Bürger/innen haben wir alle es in der Hand: Jede und jeder von uns kann den solidarisch-ökologischen Wandel erfolgreich mitgestalten. Mit diesem Manifest wollen wir als Klimaaktion aufzeigen, in welchen Bereichen Neustadt auf dem Weg zur Klimaneutralität ansetzen kann. Dabei stellen wir hier keine neuen Erkenntnisse dar, sondern wollen eine Übersicht schaffen, wo Stadt und BürgerInnen aktiv werden müssen.
Warum Neustadt schnell und entschieden handeln muss
Sowohl das 2017 vom Stadtrat verabschiedete Klimaschutzkonzept als auch die 2021 vorgestellte CO2-Bilanz für 2018 (2) haben gezeigt, dass die bisherigen Bemühungen zum Erreichen einer Klimaneutralität bei weitem nicht ausreichen. Nicht erst nach den tragischen Hochwasserereignissen 2021 im Ahrtal mit weit über hundert Toten und Schäden in Milliardenhöhe zeigt sich die zeitliche Dringlichkeit für einen radikalen Wandel. Für ein sofortiges Umsteuern müssen die Ziele, der Zeithorizont und die entsprechenden Maßnahmen klar definiert werden. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU) rechnete 2020 vor: Bei gleichbleibend hohem Emissionsniveau wäre Deutschlands verbleibendes CO2-Budget, um das 1,5-Grad-Ziel der
maximalen Erderwärmung aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, bereits im Jahr 2029 verbraucht . Ein „Weiter so“ geht also gar nicht, und auch eine Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes wie zurzeit geplant, reicht bei weitem nicht aus. Vor dem Hintergrund des neuesten IPCC-Sachstandsberichts hat sich deutlich gezeigt, dass die festgelegten Ziele nicht ambitioniert enug sind. Wir brauchen eine deutlich schnellere Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die sozial verträglich gestaltet werden muss. Die Stadt als diejenige politische Ebene, welche den Bürger:innen am nächsten ist, muss hierbei eine entscheidende Rolle spielen. Die zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen gilt es gezielt für klimaschutzfördernde Rahmenbedingungen und innovative Maßnahmen einzusetzen.
Netzwerke nutzen
Neustadt kann auf bestehende Netzwerke aufbauen und folgende Rollen übernehmen:
- Vorbild und Verbraucher, z. B. im Energie- und Mobilitätsmanagement oder der Beschaffung
- Regulierer und Planer, z. B. in der Stadtplanung
- Anbieter und Versorger, z. B. über die Stadtwerke und die Wohnungsbaugesellschaft
- Berater und Promoter, z. B. durch Informationsvermittlung und Förderprogramme
- Support und Vernetzung, z. B. durch Unterstützung der Pioniere des Wandels
Soll der Klimaschutz in Neustadt wirklich Fahrt aufnehmen, müssen die „schlummernden“ Potenziale in der Bürgerschaft gehoben werden. Dafür haben sich in anderen Kommunen Klimaschutzbeiräte oder ähnliche Gremien bewährt, die Verwaltungen und Klimaschutzbeauftragte tatkräftig unterstützen. Auf welche Weise diese akiv werden können, wird an späterer Stelle eingegangen. Damit der Wandel aber tatsächlich gelingt, braucht es jede/n Einzelne/n von uns. Denn die Stadt kann zwar die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, wie z. B. den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs - die Umsetzung im Alltag, z. B. die bewusste Entscheidung für Bus oder Rad, obliegt uns. Wir Bürger/innen können und müssen uns aber auch einmischen, unseren
politischen Willen artikulieren und damit die Politik in Neustadt mitgestalten.
Wie kann Neustadt möglichst schnell klimaneutral werden?
Diese Frage müssen die Neustadter Politiker/innen, die Stadtverwaltung, die Landwirt/innenund Winzer/innen, Industrie und Handel und jede/r Einzelne von uns beantworten. Verschiedene Studien zur Dekarbonisierung sehen den Zeitpunkt zur Erreichung der Klimaneutralität zwischen 2030 und 2050. Unabhängig von den verschiedenen Ergebnissen dieser Studien herrscht Einigkeit darüber, dass der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern, die „Energiewende“, so schnell wie möglich erfolgen muss. Neben dieser wohl am häufigsten in der Öffentlichkeit zitierten „Energiewende“ sind weitere „Wenden“ erforderlich, um ein klimaneutrales Wirtschaften zu erreichen: in Sachen Mobilität, Stadtentwicklung/Wohnen und Konsum.
Energie
Was müssen wir in diesem Sektor tun, damit wenigstens eine kleine Chance besteht, das Pariser 1,5°-Grad-Ziel noch zu erreichen? Wir brauchen einen raschen, flächendeckenden und dezentralen Ausbau erneuerbarer Energieträger. Emissionen fossiler Energieträger sind in Neustadt – Stand 2019 - noch für über 95 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Neben dem Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger sind deutliche Energieeinsparungen erforderlich. Für den Energiesektor orientieren wir uns an den Daten der Initiative Südpfalz Energie (5) sowie an den umfangreichen Studien des Jahres 2021 von Prognos, Öko-Institut, Wuppertal-Institut im Auftrag von Agora Energiewende (6,7).
Die Ergebnisse auf einen Blick:
1. Ein klimaneutrales Deutschland ist bereits bis 2045 möglich.
2. Ein Minderungsziel von 65 Prozent bis 2030 ist als Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität 2035 geeignet und schafft die Voraussetzungen für eine beschleunigte Transformation nach 2030.
3. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien (EE), bei der klimaneutralen Industrie und beim Umseg auf Wärmepumpen und Elektromobilität wird nach 2030 die Transformation beschleunigt.
Demnach muss zum Erreichen der Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2035
- der Energiebedarf für die vier Sektoren Industrie, Verkehr, Haushalte, Gewerbe/Dienstleistungen/Handel um mindestens 1,5 % pro Jahr - also um insgesamt 34 % - reduziert werden, vor allem durch Effizienzsteigerungen,
- der verbleibende Energiebedarf für die genannten vier Sektoren mindestens bilanziell zu
100 % durch Erneuerbare gedeckt werden, vorrangig aus regionalen Quellen,
- die Produkon der Grundstoff-Industrie (Chemie, Stahl, etc.) von fossilen Rohstoffen (Erdöl, Kohle, Erdgas) auf z.B. grünen – also mit erneuerbarem Strom produzierten - Wasserstoff umgestellt werden.
Bund und Land haben sich das Ziel der Energiewende auf die Fahne geschrieben. Doch schaut man genauer hin, waren die Pläne, Vorschläge und die Umsetzung zumindest in der Vergangenheit völlig unzureichend, um diese Energieziele zu erreichen (in (5),
„Anforderungskatalog …“). Ob der neue Schwung in der Bundespolitik anhält und in tragfähige Konzepte mündet, muss sich noch zeigen. Neustadt hat 2017 ein kommunales Klimaschutzkonzept (1) erarbeitet, in dem viele Maßnahmen im Energiebereich festgelegt wurden. Doch für eine erfolgreiche Umsetzung ist ein erheblich größerer Einsatz an Personal und finanziellen Mitteln erforderlich.
Wo stehen wir in Neustadt?
Wie die im Mai 2021 durch die Stadtverwaltung erstellte CO2-Bilanz (2) zeigt, wurden die im Klimaschutzkonzept 2017 (1) definierten Zielwerte für die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen und die Erzeugung erneuerbarer Energie für Strom und Wärme von 2014 bis 2018 klar verfehlt. 2018 wurden in Neustadt lediglich 5,3 % des Endenergieverbrauchs im Wärmesektor und 11,7 % im Stromsektor aus erneuerbaren Quellen bezogen (Stadtverwaltung NW, Präsentaon 25.05.2021 im Stadtrat) (2)1. Demgegenüber betragen die im Klimaschutzkonzept für 2035 festgelegten Ziele 27 % bei Wärme und 37 % bei Strom. Das Tempo der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger muss also deutlich verschärft werden. Das bedeutet eine quasi komplette Umstrukturierung der Energieversorgung. Erneuerbare Energien sind im Betrieb kostengünstig, umweltfreundlich und unbegrenzt vorhanden! Sie bieten außerdem die Möglichkeit zur dezentralen Produktion in Form von „Bürgerenergie“, bei der die Wertschöpfung in der Region bleibt. Dies erlaubt eine gewisse Unabhängigkeit von Konzernen und der Umfang von Übertragungsnetzen wird reduziert. Der langjährige Chef des Fraunhofer-Instituts für Solare Energie-Systeme, Professor Eicke
Weber, hat kürzlich gesagt: "Der Umseg auf 100% erneuerbaren Strom bis 2030 ist möglich, man muss es nur wollen!“ (Für mehr Details: Klimaschutzplaner: https://www.klimaschutz-planer.de/ajax.php? action=newWindow&pageID=bilanz_bericht_ausgabe&eparam=commune%3D073160000000%26year%3D2018
Photovoltaik vorantreiben
Bei der Nutzung der Sonnenenergie durch Photovoltaik (PV) sind Grundbesitzer, Hausbesitzer/innen, Mieter, Gewerbetreibende, Bauern und WinzerInnen (Agri-PV) gefragt. Die Stadt Neustadt kann die Verbreitung der PV-Technologie aktiv befördern und mit gutem Beispiel vorangehen. Diese Maßnahmen kann die Stadtverwaltung umsetzen oder fördern:
Städtische Liegenschaften:
Bestückung aller Dächer und Fassaden mit PV-Paneelen (auch Vorbildwirkung für Neustadter Bürger/innen)
- PV-Pflicht für Neubauten (privat und Gewerbe) beschließen, die bereits in mehreren Bundesländern und auch in rheinland-pfälzischen Kommunen eingeführt ist
- PV-Pflicht bei Dachsanierungen, Umbauten, Eigentümerwechsel und bei einem Austausch der Heizungsanlage, da die größten Potenziale im Altbau liegen
- Bewerbung und Förderung von Steckdosenmodulen
- PV-Installationen über Parkplätzen ab einer wirtschaftlichen Größenordnung
- Alle sinnvollen Möglichkeiten für PV-Anlagen an Bahnsteigen, Busbahnhöfen,
Fassaden etc. nutzen
- Freiflächenanlagen entlang der Autobahn und der Bahngleise
- Bestückung landwirtschaftlicher Flächen mit verschiedenartigen Agri-PV-Anlagen.
Vorteile unter anderem: - doppelte „Ernte“ (Landwirtschaft und Strom) auf Acker-, Obst- und
Weinbauflächen
- Reduzierung der Wasserverdunstung
- Ertragssteigerung vieler Sorten
- Schutz vor Sonnenbrand, Hagel und Frost
Die solare Nutzung auf Dachflächen stellt ein enormes Potenzial dar, dem keine Flächenkonkurrenz und so gut wie kein Widerstand aus der Bevölkerung entgegensteht. Voraussetzungen für den Erfolg dieser Maßnahmen sind unter anderem:
- Abbau von bürokratischen Hürden in Bundes- und Landesgesetzen
- beispielgebende Aktionen der Stadtverwaltung inkl. Anpassung von Denkmalschutz-Auflagen
- Beratungs- und Förderkampagnen
- intensive Öffentlichkeitsarbeit
- Vereinfachung von Mieterstrommodellen
Windenergie fördern
Die Windenergie muss – auch in Neustadt - ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende sein, da sie eine Ergänzung zur Sonnenenergie ist. Als Planungsraum für Windkra an Land hat sich der Orientierungswert von durchschnittlich 2 % der Landesfläche herauskristallisiert. Dadurch können einerseits die Auswirkungen auf Natur und Landschaft minimiert und
andererseits effekve Energieleistungen erzielt werden (8). Das Klimaschutzkonzept der Stadt von 2017 (1) sieht zwei Windräder à 3 MW vor, die pro Jahr rund 16.000 MWh Strom erzeugen könnten. Zurzeit befindet sich die Stadt Neustadt in einer gerichtlichen Auseinandersetzung, um den Bau des geplanten Windrades „Am Baggerweiher“ bei Mußbach zu verhindern. Denn es gibt Vorbehalte der Art: „In der Sichtachse vom Hambacher Schloss soll kein Windrad zu sehen sein“ und „Die Kulturlandschaft muss geschützt werden“. Diese Argumente sind verständlich, aber vor dem Hintergrund der notwendigen Energiewende nicht uneingeschränkt akzeptabel. Die ökologische Herausforderung besteht jedoch nicht nur in der Erreichung der Energieziele. Der Artenschutz und der Erhalt von Naturschutzzonen, die CO2 resorbieren und wichtige Funktionen zur Eindämmung von Klimawandelfolgen haben, dürfen nicht zu kurz kommen. Wir sind überzeugt, dass es grundsätzlich möglich ist, die Ausbauziele durch die Auswahl von Standorten mit geringem Artenschutzkonfliktpotenzial zu erreichen, ohne eine Verschlechterung des Erhaltungszustands gefährdeter Arten herbeizuführen. Dabei helfen aber keine allgemeinen Aussagen wie: „Kein Windrad im Pfälzerwald“, sondern nur die konkrete Naturverträglichkeitsprüfung bei der Standortwahl.
Erdwärme nutzen
Die Nutzung der Erdwärme lässt sich grob in zwei Technologien einteilen – die oberflächennahe Geothermie (bis ca. 400 m Tiefe) und die Tiefengeothermie (mehrere tausend m). Oberflächennahe Geothermie ermöglicht die Nutzung der Erdwärme praktisch auf jedem Grundstück und kann sowohl Einfamilienhäuser wie auch ganze Siedlungen (Kalte Nahwärme bzw. Fernwärme) mit Wärme bzw. Kühlung versorgen. Tiefengeothermie nutzt die Erdwärme aus tieferen Schichten der Erdkruste. Seit längerer Zeit sind weltweit zahlreiche Anlagen in Betrieb, vorwiegend zur Stromgewinnung und insbesondere in geologisch besonders geeigneten Gegenden wie Neuseeland, Island, usw. Im Oberrheingraben ist die Erdkruste besonders dünn, was diese Gegend zu einer der heißesten in Deutschland macht und die Nutzung der Thermalwasserreservoire erleichtert. Seit etwa 1987 wurden Möglichkeiten erforscht, die hohen Temperaturen des Tiefenwassers (in 2 km Tiefe ca. 160°C) zur Stromerzeugung zu nutzen und inzwischen sind mehrere Geothermie-Kraftwerke in Betrieb. Zwischenzeitlich aufgetretene seismische Störungen wurden durch zu hohe Drücke der Förderprozedur verursacht, aber diese Probleme sind inzwischen abgestellt. Tiefengeothermie-Kraftwerke im Oberrheingraben nutzen nicht nur die hohe Wassertemperatur zur Erzeugung von Strom und Wärme, sondern extrahieren auch Lithium zur industriellen Nutzung. Ein Projekt in Zusammenarbeit der Stadtwerke Speyer und Schifferstadt ist in Arbeit. Eine Beteiligung von Neustadt ist möglich. Die Firma Vulcan plant ein Werk bei Haßloch.
Biomasse
Zur Biomasse kann man im Zusammenhang mit dem Thema Energie folgende Stoffe zählen: Holz (Altholz, Totholz, Waldrestholz, Späne, etc.), Landschaftspflegematerial, Grünschnitt, Stroh aller Getreidearten und in Rheinland-Pfalz auch Rebenschnitt und Trester sowie nachwachsende Rohstoffe, Fette, Öle, tierische Exkremente und Abfälle. In Biomassekraftwerken (BMKW) oder Biomasseheizkraftwerken (BMHKW) können die genannten Stoffe durch verschiedene Verfahren zur Erzeugung von Strom und/oder Wärme genutzt werden. Seit 1999 sind in Deutschland mindestens 88 Anlagen in Betrieb gegangen, davon anscheinend nur eine in Rheinland-Pfalz (Neuwied). (Diverse Wikipedia-Quellen). In Biogasanlagen wird Biogas durch Vergärung von Biomasse jeder Art erzeugt. Dazu werden sowohl Abfälle als auch nachwachsende Rohstoffe vergoren. Derzeit wird Biogas in Deutschland vornehmlich zur Erzeugung elektrischer Energie in sogenannten Blockheizkraftwerken (BHKW) genutzt, wobei auch Wärme entsteht. Eine solche Anlage betreibt der Heidehof in Neustadt. Das Gas kann aber auch nach Aufbereitung zu Biomethan zum Betrieb von Fahrzeugen genutzt oder in ein Gasversorgungsnetz eingespeist werden. Es steht zu vermuten, dass ein Flächenland mit einem derart großen Anteil an Wald und Landwirtschaft (Wein-, Getreide-, Obst- und Gemüseanbau) über ein hohes Potenzial an anderweitig nicht nutzbarer Biomasse verfügt, die zur Energiegewinnung eingesetzt werden könnte. Es scheint, dass dieses Potenzial bisher nicht ausgereizt wird.
Wärme
Deutschlandweit enfällt mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs auf die Beheizung von Gebäuden, die Bereitstellung von Warmwasser und industrielle Prozesswärme (9). Während laut Umweltbundesamt der Anteil der erneuerbaren Energien beim Strom
mittlerweile über 40 % beträgt (10), verharrt dieser bei der Wärmeversorgung seit Jahren bei nur etwa 15 %. Die Sanierungsrate von exiserenden Gebäuden pendelt seit ca. 2010 um die 1 % (11), so dass es nicht zu einer schnellen Steigerung der Einsparung des
Wärmeverbrauchs kommt. Um eine treibhausgasneutrale Wärme- und Kälteversorgung zu erreichen, muss zweigleisig gefahren werden: Der Wärmebedarf des Gebäudebestands muss drastisch gesenkt und die dann noch benötigte Wärme aus erneuerbaren Energiequellen oder über Abwärme bereitgestellt werden. Für Neubauten lässt sich dies mittlerweile gut umsetzen. Zusätzlich zu einer Bauweise mit hohem Energiestandard stehen hocheffiziente Technologien zur Verfügung, die auf erneuerbaren Energien basieren, sei es als Lösungen für Einzelgebäude, wie etwa Wärmepumpen, oder als sogenannte Quartierslösungen mit Nah- oder auch Fernwärmenetzen. Im Bestand ist dies schwieriger. Hier muss durch konsequente energetische Sanierung (Dämmung, Ersatz von Fenstern, Vermeidung von Wärmebrücken etc.) eine Minimierung von Wärmeverlusten erreicht werden. Zugleich muss in der Regel das System der Wärmeversorgung komplett umgestellt werden. Denn die neuen Technologien können die alte, auf Hochtemperaturen ausgelegte Technik und Infrastruktur auf Öl- oder Gasbasis nicht ohne weiteres ersetzen. Einige Lösungen, wie Solarthermie oder Wärmepumpen, sind im Augenblick nur im Niedertemperaturbereich nutzbar; in dem Fall werden große Heizkörperflächen bzw. Fußbodenheizungen nötig, was eine Sanierung stark verteuert (Wärmepumpen für höhere Temperaturen sind in der Entwicklung). In Zukunft wird ein zunehmender Anteil der Wärmeversorgung über (erneuerbaren) Strom erfolgen (sogenannte Sektorkopplung). Auch für eine erfolgreiche Wärmewende hat also der Ausbau erneuerbarer
Stromerzeugung eine hohe Priorität. Wärme kann – anders als Strom – nicht beliebig weit transportiert werden und nicht immer
ist die Wärmeerzeugung beim Verbraucher die sinnvollste Lösung. So sieht u. a. das Umweltbundesamt die alleinige Lösung nicht in Konzepten für Einzelgebäude, sondern vielmehr in Quartierskonzepten. Es sind also lokal angepasste, spezifische Lösungen
notwendig und es gibt somit auch kein Patentrezept, wie die Wärmewende in einem Mittelzentrum wie Neustadt am einfachsten, günstigsten oder schnellsten umzusetzen ist. Einig sind sich aber alle Expert/innen, dass die Kommune der zentrale „Player“ für die
Wärmewende ist. Dieser kommt eine koordinierende und steuernde Funktion zu, zugleich hat sie eine herausragende Vorbild- und Vermittlerfunktion. Nur mit einer erfolgreichen Einbindung aller Akteure wie Stadtverwaltung, Energieversorgern, Wohnungsunternehmen und Privateigentümer/innen kann eine Wärmewende gelingen. Aus diesem Grund ist die Grundvoraussetzung für eine umfassende, klimaneutrale Wärme- und Kälteversorgung Neustadts die Erstellung einer detaillierten „Kommunalen Wärmeplanung“.
Da diese Grundlage bisher fehlt, können wir hier lediglich mögliche Ansatzpunkte für eine
Wärmewende in Neustadt nennen.
- Mit Hochdruck Einsstieg in die kommunale Wärmeplanung! Sie sollte den gesamten Gebäudebestand der Kommune umfassen, also auch Privat- und Gewerbeimmobilien.
- Stadtplanung: Neubaugebiete und neue Gewerbegebiete mit Wärmenetzen ausstatten bzw. an Fernwärmenetze anbinden.
- Prüfung der Möglichkeiten zum Ausbau kalter Wärmenetze (Geothermie, Großwärmepumpen, Solarthermiegroßanlagen)
- Bei bestehenden Wärmenetzen Umseg von Erdgas auf Erneuerbare z. B. Biogas/Biomethan (mit Reststoffen aus der Landwirtschaft, mit Holzhackschnitzeln oder durch Nutzung von Abwärmepotenzialen (Abwasser, Server-Zentren, Industrie)).
- Konsequente energetische Sanierung der kommunalen Liegenschaften und Ertüchtigung für oder direkter Umstieg auf erneuerbare Wärmequellen, z. B. Wärmepumpen betrieben mit PV-Strom von Dachflächen und Fassaden.
- Kurzfristige Umsetzung von Wärmesparmaßnahmen in den städtischen Liegenschaen: Mitarbeiter/innen sensibilisieren, automatische Nachtabsenkung, Thermostat- und Pumpenerneuerung etc.
- Informationskampagnen und Beratungsangebote für Privathaushalte und Unternehmen:
Für den Bestand:
- Energie einsparen durch energesche Sanierung und Verhaltensänderung
- Effizienz des Heizungssystems erhöhen bzw. Umrüstung auf effizientere
Systeme
- Erneuerbare Energien nutzen
Für Neubauten:
- Energieeffizienzstandards einhalten und Erneuerbare Energien nutzen
- eingebettet in städtebauliche Konzepte auf Quartiersebene
- Einbeziehung von Stadtwerken und Wohnungsbaugesellschaft in die kommunale Wärmeplanung und strategische Aufstellung der beiden für die Strom- und Wärmewende.
Im Rahmen dieser enorm herausfordernden Aufgabe kommt den Stadtwerken eine tragende Rolle zu. Die Stadtpolitik muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Aufgabe erfolgreich gemeistert werden kann.
Energieeinsparung
Einen extrem wichtigen Beitrag bei der Energietransformation muss die Einsparung von Energie leisten – durch Effizienzsteigerung aller möglichen Prozesse und durch die energesche Sanierung des Gebäudebestandes wie im vorstehenden Kapitel zu Wärme
ausgeführt. Aber auch jede/r Einzelne kann zum Energiesparen beitragen, ganz einfach im Alltag. Zum Beispiel durch das komplette Abschalten von Geräten (statt Stand-by-Modus) oder durch den Ersatz alter, ineffizienter Geräte. Auch beim Heizen lässt sich sparen: 1°C weniger bedeutet ca. 6 % Energie- und Kostenreduzierung. Einen großen Teil der Energieeinsparung erbringt auch die Umlenkung des motorisierten Individualverkehrs auf den öffentlichen Personen-, Rad- und Fußverkehr. Dafür braucht es einen umfangreichen Ausbau der Infrastruktur. Unsere Vorschläge für Neustadt finden sich im nachfolgenden Kapitel Mobilität. Das Auto als Fortbewegungsmittel muss deshalb nicht abgeschafft werden, aber es benötigt einen E-Antrieb (Senkung des Energieverbrauchs im Betrieb um 68 % im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen!). Das heißt, die in Zukunft benötigte Menge an Strom für den Verkehr wird steigen. Ein Argument mehr für den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien.
Mobilitätskonzept für Neustadt
Mit diesem Teil des Klimamanifestes legen wir für Neustadt ein Mobilitätskonzept mit erheblich geringerem CO2-Ausstoß vor. Damit wird das Leben in der Stadt attraktiver, eine bedarfsgerechte Mobilität trotzdem ermöglicht. Alle Verkehrsbewegungen sollen so gestaltet sein, dass sie möglichst wenig fossile Energie verbrauchen, möglichst wenig Lärm, Gestank und klimaschädliche Gase verursachen.
Das heißt:
- Der ÖPNV muss so gut und günsg sein, dass er das opmale Verkehrsmittel darstellt.
- Der motorisierte Individualverkehr (MIV) wird weitestgehend durch attraktive, allzeit verfügbare und praktikable Alternativen ersetzt.
- Der Anteil der Wege, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, wird sich von derzeit ca. 30 % mehr als verdoppeln.
- Die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt sowie in den Zentren der Weindörfer wird wesentlich gesteigert und nur noch wenig Autoverkehr wird dort nötig (und möglich) sein.
- Der Lieferverkehr wird intelligent und weitgehend ressourcenschonend und emissionsfrei abgewickelt.
Verkehrsführung:
- Im gesamten Stadtgebiet (inkl. aller Weindörfer und Quartiere der Innenstadt) gilt
Tempo 30.
- Der Durchgangsverkehr nutzt die B38 und die B39, auf denen Parkverbot herrscht. Dadurch wird es auch für Radfahrer sicherer.
- Tempo 10/Shared Space auf der B39 vor dem Bahnhof (zwischen Hetzelstr. und Moltkestr.)
- In der Innenstadt (inkl. Winzingen, Ausnahmen Hbf. und Festwiese) herrscht Parkverbot, d.h. Halten bis zu 3 min ist erlaubt. Für mobilitätseingeschränkte Personen gelten Ausnahmen.
- Parkplätze mit Mobilitätsstationen (möglichst überdachte Radabstellplätze, (Lasten-)Rad- und Scooterleihsysteme, zu Stoßzeiten Shuttledienste) an den Einfallstraßen ermöglichen ein unkompliziertes Erreichen der Innenstadt.
- Alle Verkehrsflächen in der Innenstadt werden als verkehrsberuhigte Bereiche ausgewiesen, d.h. Fuß- und Radverkehr haben Vorrang.
- Für Fuß- und Radverkehr gibt es ein gut nutzbares Leit- und Orientierungssystem.
Auch in den Wohnquartieren und Weindörfern ist ein Ende des „Straßenparkens“ das langfristige Ziel. Der MIV wird weitestgehend durch ein gut ausgebautes ÖPNVSystem und Fuß- und Radverkehr ersetzt, ergänzt durch Car-Sharing-Angebote.
- Neue Wohnquartiere werden von Anfang an entsprechend geplant.
- Im Umfeld aller Schulen und Kindergärten gilt absolutes Halteverbot. Dafür sind die Rad- und Fußwege sicher und komfortabel.
- Pakete werden an den Einfallstraßen von Lieferwagen auf Lastenräder umgeladen und mit diesen zu Geschäften und privaten Haushalten weiterverteilt.
ÖPNV:
- Der PNV wird kommunalisiert.
- Ein sozialverträgliches Tarifsystem scha für die Beschäigten gute Ausbildung und
faire Arbeitsbedingungen.
- Das Busangebot wird durch Ruaxis und den Fahrservice Mobility-on-Demand (MoD) ergänzt, vor allem zu den Tagesrandzeiten und bei Strecken mit geringer Auslastung.
- Busverkehr: Der Takt wird erhöht und das Haltestellennetz verdichtet.
- Leihsysteme (Scooter, Fahrräder) werden ins System eingebunden.
- Die Bahn ins Elmsteiner Tal wird wieder in Betrieb genommen.
- In Bussen und Zügen dürfen ohne Einschränkung der Mitreisenden Fahrräder mitgenommen werden.
- Haltestellen werden barrierefrei ausgebaut und mit Wartehäuschen und
Echtzeitdisplays ausgestaet.
- Busse und Züge erhalten emissionsfreie Antriebe.
- An allen Bahnhöfen entstehen an den Bedarf angepasste Mobilitätsstationen.
Parkraummanagement:
- Im ganzen Stadtgebiet (außer Innenstadt, s.o.) wird der Parkraum bewirtschatet.
- Die Parkgebühren werden deutlich erhöht.
- Parkflächen für Mobilitätseingeschränkte und für Car-Sharing, Be- und Entladezonen für Anwohner/innen werden gesondert ausgewiesen.
- Auf der Festwiese wird doppelstöckig, aber nur auf der halben Fläche geparkt. Der Rest ist für Fuß- und Radverkehr bzw. Spiel- und Aufenthaltsfläche.
- An der B39 vor dem Bahnhof (auf dem Gelände der heutigen Esso-Tankstelle) wird ebenfalls mehrstöckig geparkt (Pendler, Anwohner Winzingen und Innenstadt).
- Zufahrtsstraßen (B39, B38 und Schöntal) erhalten Parkplätze mit Mobilitätsstationen.
- Das Parkkonzept wird mit den Nachbarstädten abgestimmt.
- Überflüssige Parkflächen werden in Grünflächen, Fuß- und Radwege umgewidmet.
Fußverkehr:
- Fußwegenetz für die Innenstadt: Alle Ziele werden barrierefrei zu Fuß erreichbar gemacht.
- Gehwegparken ist verboten und wird streng sanktioniert (Garagenordnung durchsetzen!).
- B38 und B39 sind durch zahlreiche Zebrastreifen oder Fußgängerampeln mit Bedarfsschaltung leicht zu überqueren.
- Ein flächendeckendes Orientierungssystem für Sehbehinderte wird eingeführt.
Radverkehr:
- Ein leistungsfähiges und innovatives Radwegekonzept wird eingeführt.
- Die finanzielle Ausstattung für Pflege und Bau von Radwegen wird von derzeit 5 Euro pro Einwohner auf 30 Euro erhöht.
- Sichere Fahrradachsen mit Vorrang für RadfahrerInnen werden durch die Innenstadt geführt.
- Vor dem Bahnhof wird ein Fahrradparkhaus mit Werkstatt gebaut.
- Am Rand der Fußgängerzone und an allen gefragten Aufenthaltsflächen werden Abstellbügel errichtet.
- Park- und Fahrflächen für Lastenräder werden ausgewiesen.
- Die Weindörfer und Nachbargemeinden werden gut mit Radwegen angebunden, die sowohl für touristische als auch für Alltagszwecke tauglich sind.
- Radschnellwege führen nach Landau, Bad Dürkheim, Speyer, Ludwigshafen und
Kaiserslautern.
- Die Kommune legt ein Förderprogramm für Lastenräder auf.
Flächenverbrauch:
- Für den MIV werden keine weiteren Straßen gebaut.
- Entsiegelung: Nicht mehr benögte Straßen werden zurückgebaut und entsiegelt.
- Im gesamten Stadtgebiet werden Plätze und Wege nur für Fuß- und Radverkehr
geschaffen.
- Dort wird die Aufenthaltsqualität durch Sitzmöbel, Spielgeräte, insektenfreundliches Grün und Freiflächen erhöht.
- In neuen Baugebieten wird ein attraktives autofreies Mobilitätskonzept geschaffen.
- Geschäfte und Infrastruktur bleiben in den Quartieren oder werden dort angesiedelt, evtl. in mobiler Form.
Um das hier skizzierte Mobilitätskonzept zielgerichtet umzusetzen, muss klimaschonender Verkehr zu einer Prämisse in der Verwaltungsarbeit werden. Die Umsetzung muss dringend durch eine breite Öffentlichkeitsarbeit und Bürger/innenbeteiligung ergänzt werden:
- Auf Messen und Vorträgen werden die Dienste, Fahrzeuge und Wege der Zukun
vorgestellt.
- Planspiele machen die Mobilität der Zukunft erlebbar.
- Beratungsangebote, z. B. für ÖPNV-Nutzung oder Lastentransport, unterstützen die
Umsetzung.
Stadtentwicklung für gutes Leben
Im Dokument „Urban, kompakt, durchgrünt – Strategien für eine nachhaltige Stadtentwicklung“ des Bundesumweltamtes (12) legt das Umweltbundesamt ausführlich alternative Handlungsmodelle für Kommunen dar. Einige Themen bzw. Forderungen:
Klimaresilienz
Die Entwicklung in Richtung „Schwammstadt“ weitertreiben. Wir wünschen uns eine klimaresiliente Stadt mit viel grüner Wohn- und Aufenthaltsqualität, die ausreichend Schutz vor Hitze- und Starkregenereignissen bietet und CO2-Emissionen minimiert. Strikte Reduzierung des Flächenverbrauchs Die Bundesregierung warnt eindringlich vor kontinuierlichen Versiegelungen von Flächen
und hat das Flächenverbrauchsziel bis 2050 von Netto-Null ausgegeben (aus (13))! Unbebauter Boden ist ein wichtiges Fundament für unseren Klimaschutz. Nur unversiegelter Boden speichert CO2 und Wasser, er sorgt für die lokale Kaltluentstehung und ist für die Grundwasserneubildung entscheidend.
Maßnahmen:
- Wohntauschbörsen; Parkplätze/Supermärkte, etc. … überbauen.
- wenn gebaut wird, Brachflächen und Baulücken nutzen; einschließlich freiwerdender Verkehrs- und Parkflächen.
- Förderung von Mehrfamilienhäusern und Gemeinschaswohnungen (auch generationenübergreifend)
- Festlegung von ökologischen bzw. klimaschützenden Rahmenbedingungen in Flächennutzungsplänen
- Verstärkte Innenentwicklung, Nutzung von Brach- und freiwerdenden Verkehrs- und Parkflächen
Grünflächen und Platz für Begegnung/Miteinander:
- Mehr Grünflächen schaffen durch Entsiegelung/Umwidmung von Straßen und Parkplätzen. Neben einem besseren Mikroklima und Vorteilen für die biologische Vielfalt bringt dies mehr Lebensqualität: Freizeit- und Erholungsflächen sind schneller erreichbar und es gibt mehr und attraktiveren Raum für Austausch und Begegnung.
- Die Trennungswirkung von Verkehrsachsen aueben oder mildern – Tempo 30, Shared Spaces.
- Soziale Treffpunkte schaffen, an denen jede/r einkommensunabhängig teilnehmen kann.
Gewerbe
Wir sollten eine Stadt der kurzen Wege anstreben: Nahversorgung unterstützen; lärm- und emissionsarmes Gewerbe erhalten bzw. in Mischgebieten rückintegrieren.
Ressourcen schonen:
- Reparatur- und Tauschläden vor Ort vermeiden Neuanschaffungen und sparen Ressourcen ein.
- Gemeinschaftlich genutzte Räume (z.B. Multifunktionsräume (für Hausarbeit, Versammlungen, Kino, Theater) in Mehrfamilienhäusern) reduzieren den Wohnflächenbedarf pro Kopf sowie den Ressourcenverbrauch und verbessern das
Zusammenleben.
- Bei allen Maßnahmen kommen primär ökologische Materialien und Konzepte, z. B. Cradle-to-Cradle (Kreislaufwirtschaft), zur Anwendung.
- Durch flächendeckende Mehrwegsysteme, z. B. im Straßenverkauf von Lebensmitteln (Kaffee to go etc.) oder auch im Einzelhandel wird Müll vermieden.
Für Veränderungen in vielen der angesprochenen Bereiche gilt: Um alle Kompetenzen und relevanten Belange einzubeziehen, braucht es eine ressortübergreifende und überregionale Zusammenarbeit der Verantwortlichen für Klima-, Wasser-, Flächen- und Naturschutz sowie für Landwirtscha, Forsten und Wirtschasentwicklung unter Gemeinwohl-orienerten Prämissen.
Politik der Umsetzung
Zahlreiche Beispiele zeigen es: Auf kommunaler Ebene können entscheidende Weichen für eine solidarisch-ökologische Transformation gestellt werden. Um die angestrebten Veränderungen zu erreichen, gilt es, transformative Kommunalpolitik ganzheitlich und strategisch anzugehen. Eine grundlegende Voraussetzung hierfür ist eine auskömmliche Finanzierung. Wir sehen
daher dringenden Bedarf, den Teufelskreis von unzureichender Kommunalfinanzierung und dem resultierenden Streben nach Erhöhung der Gewerbesteuereinnahmen zu durchbrechen und neue Wege für ein nachhaltiges Gemeinwohl mit zu iniieren.
Die klimapolitische Situation in Neustadt
In Neustadt wurde der Ernst der Lage noch nicht verstanden. Es existieren hehre Konzepte zu Klimaschutz und Energiewende, denen aber bisher noch keine wirkungsvollen Taten gefolgt sind. Dabei brauchen wir eine Politik, eine Verwaltung und städtische Unternehmen, die entschlossen für den Klimaschutz vor Ort eintreten und durch Beispiel, Beratung und Unterstützung die Menschen für eine schnelle Transformation gewinnen. Die Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen im Bund und in Europa seit Ende 2021 sorgen für Rückenwind beim Klimaschutz. Diesen gilt es auch in Neustadt zu nutzen. Große Veränderungen brauchen entschlossene Menschen in Politik und Stadtverwaltung. Es gibt etliche Vorreiter-Projekte in der ganzen Bundesrepublik (15), doch Neustadt an der Weinstraße gehört nicht dazu.
Ziel der Umsetzung
Ziel der Umsetzung muss es sein, Klimaschutz und Nachhaltigkeit als übergeordnete Maxime in alle Institutionen und Einrichtungen der Stadt zu integrieren. Die Stadtwerke müssen zu Treibern des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Mobilitätswende werden, die Wohnungsbaugesellschaft muss ihre beispielhaft Politik beim energetischen Sanieren und klimaneutralen Bauen einschließlich der Solartechnik-Nutzung fortsetzen. Der Eigenbetrieb Stadtentsorgung kann Projekte zur Kreislaufwirtschaft, zu suffizientem Leben, zu Plastikfreiheit etc. anschieben. Das Hetzelklinikum informiert über die Gefahren des Klimawandels und empfiehlt Verhaltensänderungen in Mobilität, Ernährungsweise und Freizeitverhalten. Sparkasse und Banken geben Kreditlinien für
klimafreundliche Investitionen aus. Besonders Bürgerenergie ist geeignet, lokale Akteure einzubinden: Stadt und Bürger/innen können sich die Ersparnisse und die Energieunabhängigkeit durch lokale, erneuerbare Energieerzeugung („Bürgerenergie“) selbst zunutze machen. Unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist der politische Wille!
Dieser muss Ausdruck finden in einer Selbstverpflichtung von Neustadts Politik und Verwaltung zur Klimaneutralität bis spätestens 2045. Nachhaltigkeit muss von der Stadtspitze gewollt und bei ihr – in der Chefetage - institutionell angesiedelt sein. Von dort aus muss sich der Wandel in alle Ebenen der Verwaltung durchziehen. Dies funktiniert nur, wenn der/die Klimaschutz- oder Nachhaltigkeitsmanager/in mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet ist.
Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit
Eine weitere Voraussetzung zum Erreichen der Klimaneutralität ist eine regionale, ressortübergreifende Planung und eine demokratische Teilhabe der Betroffenen: Stadtverwaltung und überregionale Behörden, Naturschutzverbände, Forstschutz,
Anwohner/innen, Energieexpert/innen, Bauern & Winzer/innen müssen überzeugt und für die Umsetzung gewonnen werden. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit ist dabei ein erstes wichtiges Instrument zur Verbreitung des städtischen Nachhaltigkeitsanliegens. Dazu gehört, transparent zu machen, welche Risiken und Krisen mit dem Klimawandel verbunden sind, und die Bevölkerung auf Strukturumbrüche vorzubereiten. Aufgabe ist aber auch, aufzuzeigen, wie ein gutes, klimaschonendes Leben in Neustadt aussehen kann. Narrative mit gut gewählten „Bildern“ einer klimaneutralen, suffizienten Lebensweise können die Angst vor Veränderung nehmen und Impulse zur Neugestaltung des eigenen Lebens geben. All diese Ideen zeigen, dass es möglich ist, einen Wandel in eine nachhaltigere Zukunft herbeizuführen. Wir alle sind in der Verantwortung, diesen Weg schnell und entschlossen zu gehen: die Bürger/innen, die politisch Verantwortlichen und die Verwaltung, die Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen, die Verbände und Vereinigungen.
Für Neustadt - Alternativen zur Wachstumsmaxime
100 % erneuerbare Energie erzeugen, motorisierten Individualverkehr auf das Notwendigste reduzieren, biologische Landwirtschaft und Ernährung, nachhaltig konsumieren, Artenvielfalt erhalten, keine weitere Flächenversiegelung – und wir sind gerettet? Leider nicht! Wir können unser Ziel nur erreichen, wenn wir unser Konsumverhalten, unser gesamtes Wachstumsdenken verändern. Wir müssen in die Postwachstumsökonomie eintreten. Diese lässt sich nicht in einer Kommune oder Region alleine umsetzen, sondern muss vielmehr global gedacht werden. Dennoch sind wir der Meinung, dass Klimaneutralität und nachhaltiges Wirtschaften langfristig nur auf dieser Basis möglich sind und möchten die Grundsätze hier darlegen. Die Postwachstumsökonomie ist ein Konzept, welches das uneingeschränkte Wirtschaftswachstum radikal in Frage stellt.
- Es basiert auf regionaler Produktion und Genügsamkeit.
- Faire Produktionsbedingungen gelten weltweit.
- Gewirtschaftet wird, wo möglich, in regionalen Wirtschaftskreisläufen. Diese garantieren, dass die Wertschöpfung in der Region bleibt.
- Die Landwirtschaft basiert auf einer mehrheitlich biologischen Anbauweise. Diese erfordert viel Handarbeit.
- Demokratische Prozesse stehen auf allen Ebenen der Gesellschaft im Zentrum.
- Der öffentliche Personenverkehr, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialstrukturen sind ausgebaut und gemeinwohlorienert. Mit dieser Vision ist eine Gesellschaft beschrieben, die auf die zunehmende Ressourcenknappheit reagiert. Warum? Weil wir nicht mehr weiter machen können mit dem Verbrauch an Energie und fossilen Rohstoffen, ohne in Kauf zu nehmen, dass z. B. die Folgen
des Klimawandels vollends unbeherrschbar werden: Erderwärmung, Dürren, Wassermangel, Waldsterben, Überflutungen, Wirbelstürme, Artensterben, Eisschmelzen, usw. Die Menschheit kann nicht mehr verbrauchen als „die Natur“ zu produzieren im Stande ist.
Haltung umstellen
Wir müssen unser Leben, unsere Haltung umstellen von einem Wachstums- und Profitdenken hin zu einer Begrenzung unseres Verbrauchs. Zum Beispiel durch
- gute, haltbare Qualitätsprodukte, die man reparieren kann
- einen sorgsamen Umgang mit den Ressourcen Wasser, Energie, fruchtbaren Boden
- kurze Transportwege und Wiederverwertungskreisläufe.
Deshalb verweigert dieser gesellschaftliche Ansatz der Postwachstumsökonomie auch die Ausbeutung der Rohstoffe in weniger entwickelten Ländern auf deren Kosten, die Verlagerung von Müll und Giftstoffen in diese Länder, das Freikaufen durch Emissionshandel, die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer. Die heuge Wachstumsökonomie geht zu Lasten der Länder des globalen Südens und zuküntiiger Generationen. Oft wird die Reduzierung des Energie- und Rohstoffverbrauchs durch effizientere Technologie beschworen, doch der Schuss kann auch nach hinten losgehen. Ein einfaches Beispiel: Wenn Pkw-Nutzung durch Effizienzsteigerungen günstiger wird, dann fällt beim nächsten Kauf die Entscheidung eventuell zugunsten des größeren Modells aus. Ein sparsamer Pkw verursacht geringere Treibstoosten. Das wirkt sich zumeist auf das Fahrverhalten aus: Wege werden
häufiger mit dem Pkw zurückgelegt, längere Strecken gefahren und öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad dafür weniger genutzt. Dieses Phänomen - der Rebound-Effekt – tritt auch dann ein, wenn ein Produktionsprozess schlanker oder schneller wird.
Bedeutet nun die oben angesprochene Reduzierung von Konsum für uns eine Einschränkung, weniger Wohlstand, weniger Lebensstandard? Wie gestaltet sich das Leben nach dem Wachstum? Damit der Markt wächst, muss heute viel verkauft werden, daher gehen die Produkte schnell kaputt, sie werden oft von neuen Versionen abgelöst, sind nicht kompatibel. Dabei wären gute Qualitätsprodukte, Tausch- und Leihkonzepte für selten genutzte Geräte sowie Reparaturmöglichkeiten, Hilfestellung und Austausch deutlich sinnvoller, nachhaltiger und günstiger für die Verbraucher. Die demokrasche Teilhabe und die Unterstützung der regionalen ErzeugerInnen schafft Verantwortungsgefühl und Zufriedenheit. Wo gemeinsam Konzepte entwickelt werden für autoarme Mobilität, Energiereduzierung, Wasserschutz, Müllreduzierung, solidarische Landwirtschaft, steigt die Verbindlichkeit und die Akzeptanz.
Damit der Markt wächst, muss heute viel gekauft werden. Dafür arbeiten wir viel und lange. Unser Leben ist geprägt von Zeitknappheit, Stress und Reizüberflutung, was – so will uns die Werbebranche glauben machen – nur durch Konsum und Ablenkung, Waren und Erlebnisse, auszugleichen ist. Konsum, der über die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse hinausgeht,
macht aber nicht glücklicher. Eine Verkürzung der Arbeitszeit, die Entschleunigung der Abläufe, Dinge selbst machen und Teilhabe im Stadtteil bedeuten ein Mehr an Zufriedenheit, Wohlbefinden und Lebensqualität. Mit erneuerbarer Energie, ressourcenschonender Mobilität und Lebensweise und einer nachhaltigen Stadtentwicklung gelangen wir auf einen guten Weg von der gewinnorientierten zur zufriedenen Gesellschaft und zur Befreiung vom Überfluss.
Quellen
(1) Integriertes Klimaschutzkonzept der Stadt Neustadt an der Weinstraße (2017); hps://klimaschutz.neustadt.eu/Ziele-Umsetzung/Unser-Klimaschutzkonzept/
(2) CO2-Bilanz 2018; https://klimaschutz.neustadt.eu/Ziele-Umsetzung/Unsere-Energie-und-CO2-Bilanz/
(3) Umweltgutachten 2020: Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa. Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU); https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/
2016_2020/2020_Umweltgutachten_Entschlossene_Umweltpolitik.html
(4) 6. IPCC-Sachstandsbericht AR6 (Internaonal Panel on Climate Change, Weltklimarat); https://www.de-ipcc.de/250.php
(5) Genügend Erneuerbare Energie in Deutschland und Rheinland-Pfalz vorhanden! Beitrag in https://www.i-suedpfalz-energie.de/berichte-archiv/berichte-2021/
(6) Klimaneutrales Deutschland. Studie im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität
www.agora-energiewende.de
(7) Klimaneutrales Deutschland 2045. Wie Deutschland seine Klimaziele schon vor 2050 erreichen kann. Zusammenfassung im Aurag von Sung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende; www.agora-energiewende.de
(8) Volker und Cornelia Quaschning (2022): Energierevolution jetzt! Mobilität, Wohnen, grüner Strom und Wasserstoff: Was führt uns aus der Klimakrise - und was nicht? Carl Hanser Verlag München, 288 Seiten
(9) Bericht zum Energieverbrauch 2020. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V.; https://ag-energiebilanzen.de/bericht-zum-energieverbrauch-2020/
(10) Erneuerbare Energien in Zahlen. Umweltbundesamt; https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/erneuerbare-energien-in-zahlen
(11) Walter Kahlenborn, Jens Clausen, Siegfried Behrendt, Edgar Göll (2019; Hg.): Auf dem Weg zu einer Green Economy - Wie die sozialökologische Transformation gelingen kann. Transcript-Verlag, 302 Seiten
(12) Urban, kompakt, durchgrünt; https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/dokumente/urban-kompakt_durchgruent_penn-bressel.pdf
(13) Flächensparen – Böden und Landschaften erhalten; https://www.umweltbundesamt.de/themen/boden-andwirtschaft/flaechensparenboeden-landschaften-erhalten#massnahmen-und-instrumente
(14) Beispiele Vorreiter Energiewende:
- Energie-Kommune des Monats: Fuchstal (Mai 2022). Mit Sonne, Bioenergie und Wind zur Energiewende; https://www.unendlich-viel-energie.de/projekte/energie-kommunen/fuchstal
- Energiekommune des Monats: Mannheim (Juli 2021). Ausreichend grünes Potenzial, um die Fernwärme-Nachfrage zu decken; https://www.unendlich-viel-energie.de/energie-kommune-des-monats-mannheim
- Energie-Kommune des Monats: Enkenbach-Alsenborn (Jan. 2015); Wirtschaftsfaktor Erneuerbare Energie; https://www.unendlich-viel-energie.de/die-agentur/projekte/energie kommunen/energie-kommune-des-monats-enkenbach-alsenborn
Weiter lesen
Maja Göpel: „Unsere Welt neu denken. Eine Einladung“, 160 Seiten, Ullstein Taschenbuchvlg., ISBN-13: 9783843723114
Maja Göpel: „Wir können auch anders. Auruch in die Welt von morgen“.
„Energie von morgen“ – Erfolgsgeschichten, Neuigkeiten und Wissenswertes aus der Energieforschung (Jan. 2022); https://www.bmwk.de/Redakon/DE/Publikaonen/Energie/energie-von-morgen.htm
Marianne Karpenstein-Machan, Peter Schmuck, Ines Wilkens, André Wüste: „Die Kraft der Vision, Pioniere und Erfolgsgeschichten der regionalen Energiewende“; Herausgeberin Dr. Marianne Karpenstein-Machan, 2014; marianne.karpenstein@idee-regional.de www.idee-regional.de
Einzelne Passagen und Anregungen sind der Broschüre „Das Klima-Handbuch für Kommunen in
Hessen“ mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Ebert-Stiftung Hessen entnommen.
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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