Fachkräftemangel in der Südpfalz
Wenn Azubis Personalchefs werden - neue Konzepte sollen Schulabgänger in die Unternehmen holen
Rülzheim/Südpfalz. Auch vor den Unternehmen in der Südpfalz macht der Fachkräftemangel nicht Halt. Es gibt immer weniger Schulabsolventen - und wenn es ihr Abschluss zulässt, strebt die Mehrheit von ihnen eine akademische Laufbahn an. Lehrstellen bleiben unbesetzt, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente, die Gen Z hat andere Vorstellungen und Perspektiven, was ihren Lebenslauf angeht.
Die IHK Südpfalz - mit Sitz in Landau - betreut 20.000 Unternehmen, von diesen sind 522 aktive Ausbildungsbetriebe. Von 2013 bis 2022 verzeichnen diese Unternehmen einen Rückgang der Ausbildungsverträge um 20,5 Prozent, von 1.403 auf 1.116 - und das nicht, weil die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt. Es gibt schlicht immer weniger Bewerber - und unter den Bewerbern steigt die Zahl jener, die nicht für eine Ausbildung geeignet sind.
Von Oktober 2022 bis August 2023 wurden im Einzugsgebiet der IHK Südpfalz 2.397 Ausbildungsstellen gemeldet, 793 blieben unbesetzt. Es gab 2.442 Bewerber, von denen 540 Ende August noch unvermittelt waren. Viele dieser nicht vermittelten Bewerber entscheide sich dann oft ganz bewusst auch kurzfristig noch - viele gehen weiter zur Schule, machen ein FSJ oder gehen erst einmal ins Ausland. Die klassischen "Bewerbungsfristen" sind schon lange aufgelöst - Bewerbungen werden quasi das ganze Jahr über angenommen.
Fakt ist, so erklärt Thorsten Tschirner, Regionalleiter der IHK in Landau: "Die Hälfte der Unternehmen findet keine geeigneten Azubis, trotz größter Anstrengungen." Außerdem werde es gerade für den Mittelstand immer schwieriger, mit der großzügigen Angeboten der Global Player mithalten zu können. Zudem fokussiere sich das Interesse der Bewerber*innen auf die klassisch sehr beliebten Berufe wie Mechatroniker, Kaufleute, Friseurhandwerk, Tischler*in, Fachinformatiker*in oder Ausbildungen in der Verwaltung. So bleiben viele Stellen in spezifischeren, meist unbekannten Berufen unbesetzt.
Neben dem, was die Agentur für Arbeit und die IHK tun, um auch diese anderen Berufsbilder unter den Schulabgängern bekannte und beliebter zu machen, müssen die Unternehmen selbst Strategien entwickelt, um geeignete Fachkräfte zu finden. "Es ist schon lange nicht mehr nur so, dass sie Jugendliche bei Unternehmen bewerben, die Unternehmen müssen sich ganz genauso bei den potenziellen Auszubildenden bewerben", so Tschirner. Für jemanden mit einem guten Schulabschluss sei die Auswahl groß und vielfältig - und es gehe darum, genau diese jungen Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen.
Neue Idee, neue Strategien
Auch wenn viele Jugendliche noch den klassischen Weg über die Agentur für Arbeit oder Stellenanzeigen gehen, braucht es doch neue Wege, um Schulabgänger anzusprechen. Viele Unternehmen wählen dafür Kanäle im Internet - Plattformen wie Instagram oder TikTok, die auch bei der Zielgruppe beliebt sind, um die Jugendlichen dort anzusprechen, wo sie auch in ihrem Alltag unterwegs sind. Einen Schritt weiter geht die Firma MarkenTechnikService (MTS) in Rülzheim. Dort werden derzeit 30 junge Menschen ausgebildet - von Kaufleuten über Informatiker bis hin zu Mediengestaltern und Mechatronikern. Das Besondere hier: die Auszubildenden selbst entscheiden über neue Bewerber. Im zweiten Lehrjahr werden sie eng in den Auswahlprozess eingebunden, sichten Bewerbungen, führen Vorstellungsgespräche, halten Assessmenttests ab und entscheiden dann eigenständig, wer neuer Azubi wird. Man müsse in diesen Prozess nur selten eingreifen, stehe aber begleitend immer bereit, sagt Markus Rohrbacher, stellvertretender Personalleiter bei MTS. Das Projekt gibt es schon seit über vier Jahren, eine Übernahmequote von über 90 Prozent zeige, dass man damit genau richtig liegt. Denn das ist es, was das Unternehmen letztlich will: "Mehr Bewerbungen sind nicht unbedingt das Ziel - denn es kommt uns nicht auf Masse an", führt er aus. "Wir wollen, dass sich die guten Bewerber für uns entscheiden und dabei ist das Projekt 'Azubis werben Azubis' eine große Hilfe", ist er sich sicher.
"Wir vertrauen unseren Auszubildenden, geben ihnen gerne diese Verantwortung. Denn wir wissen: Sie schauen anders hin, sehen in den Bewerbern Eigenschaften, die wir nicht wahrnehmen. Das hat sich bewährt. Weil sie gleichzeitig Dinge lernen, die auch für ihre weitere berufliche Karriere immens wichtig sind", so Rohrbacher weiter.
Auch aus Sicht der Bewerber ist dieses Verfahren auf Augenhöhe gut. Viele haben Prüfungsangst, sind schüchtern und aufgeregt, wenn sie zum Vorstellungsgespräch kommen, tauen aber auf, wenn sie gleichaltrigen Gesprächspartnern gegenübersitzen. "Zeugnisse und die Ergebnisse der Assessmenttest sind ja nicht alles, am aussagekräftigsten ist immer noch das persönliche Gespräch", erklärt die Auszubildende Laura Traxel. "Ich war damals bei der Bewerbung so eingeschüchtert. Für mich war es eine unglaubliche Erleichterung, zu sehen, dass ich es mit Menschen im meinem Alter zu tun habe. Ich fand das einfach total cool und es hat mich auch davon überzeugt, dass das der richtige Arbeitgeber für mich ist."
Verantwortung schafft Bindung
Auch in den Schulen und auf Ausbildungsmessen wirbt MTS mit seinen Auszubildenden, sie organisieren den Girls & Boys Day, bespielen ihren eigenen Instagram-Account. "Das können die doch ohnehin viel besser als wir", lacht Markus Rohrbacher. Und gleichzeitig haben die angehenden Mediengestalter da auch gleich eine eigene Aufgabe. "Denn für uns ist es wichtig, dass die Auszubildenden von Anfang an Verantwortung im Unternehmen bekommen", ergänzt er. Denn echte Eigenverantwortung bringt zusätzliche Bindung und hält die jungen Menschen auch langfristig im Unternehmen. Das kann Thomas Meyer, angehender Kaufmann für E-Commerce, nur unterstreichen: "Mich hat das Konzept bei MTS von Anfang an überzeugt. Deshalb war das auch meine einziges Vorstellungsgespräch. Für mich beim ersten Besuch hier gleich klar: das passt."
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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