Wetter hat Missbrauch vertuscht
"Das Gutachten hat eingeschlagen wie eine Bombe"
Landau/Speyer. Sein Wahlspruch lautet "Pax vobis" - „Friede sei mit Euch“. Er wurde von der Bundesrepublik Deutschland mit dem Bundesverdienstkreuz mit Stern und mit Schulterband geehrt. Er ist Träger des Verdienstordens von Rheinland-Pfalz, des Bayerischen Verdienstordens und der Verfassungsmedaille in Gold. Die Katholisch-Theologische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat ihm die Ehrendoktorwürde verliehen. Seit 1994 ist er Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Landau. Und er hat sich schuldig gemacht.
Die katholische Welt ist schwer erschüttert. Vom Münchner Missbrauchsgutachten und von der Rolle, die Kardinal Friedrich Wetter bei der Vertuschung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising gespielt hat. Der 1928 in Landau geborene Wetter war von 1968 bis 1982 Bischof in Speyer, bevor er Erzbischof von München und Freising wurde. 1985 nahm Papst Johannes Paul II. ihn in das Kardinalskollegium auf.
Das in der vergangenen Woche veröffentlichte Gutachten, das im Auftrag des Erzbistums München und Freising erstellt wurde, kommt zu dem Schluss, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese nicht angemessen behandelt wurden. Dem ehemaligen Erzbischof Friedrich Wetter werden 21 Fälle von Fehlverhalten vorgeworfen. Dabei geht es in erster Linie darum, dass bekannt gewordene Fälle von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht geahndet, bekanntermaßen pädophile Priester zum Beispiel einfach in eine neue Pfarrei versetzt wurden.
"Das Gutachten hat eingeschlagen wie eine Bombe", sagt Bernd Held, Vorsitzender des Betroffenenbeirates im Bistum Speyer. Und ergänzt: "Wir Betroffene waren vom Inhalt weniger überrascht." Denn dass die Strukturen innerhalb der katholischen Kirche Missbrauch begünstigen, steht für sie seit langem fest. Seit Jahren fordern Betroffeneninstitutionen die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle durch staatliche Stellen. "Die katholische Kirche kann nicht Täterinstitution, Entschädigungsinstitution und Aufarbeitungsinstitution in einer sein", sagt Held. Inzwischen ist auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken zu dem Schluss gelangt, dass die katholische Kirche die Aufarbeitung alleine nicht schafft.
Stadt Landau kündigt Konsequenzen an
Ob und inwieweit diese Darlegungen der Gutachter Auswirkungen auf die Ehrungen haben, die Wetter von seiner Geburtsstadt Landau erhielt, werde die Stadt prüfen und in den Gremien beraten. „Die belastenden Aussagen lassen vermuten, dass Konsequenzen folgen müssen“, so der Oberbürgermeister Thomas Hirsch. Die Vorwürfe machen ihn "sehr betroffen", so Hirsch weiter.
Das am 20. Januar veröffentlichte Gutachten einer Münchener Anwaltskanzlei zum Thema „Sexueller Missbrauch Minderjähriger und erwachsener Schutzbefohlener durch Kleriker sowie hauptamtliche Bedienstete im Bereich der Erzdiözese München und Freising von 1945 bis 2019“ behandelt untersuchungsrelevante Sachverhalte, die 47 Kleriker aus der Amtszeit Wetters als Erzbischof beziehungsweise Apostolischem Administrator betreffen. Die Gutachter gelangen zu der Einschätzung, dass Wetter in 21 dieser Fälle fehlerhaftes oder zumindest unangemessenes Vorgehen anzulasten ist - vor allem durch Passivität. „Nennenswerte Aktivitäten“ Wetters in Richtung der Täter seien, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht ersichtlich. Eine auch nur ansatzweise kritische Selbstreflexion des seinerzeitigen Handelns seitens des damaligen Erzbischofs Kardinal Wetter sei auch heute nicht erkennbar, heißt es in dem Gutachten.
Wer wegschaut, macht sich schuldig
Wenn auch der Inhalt des Gutachtens Bernd Held nicht überrascht, so doch die Klarheit, mit der die Versäumnisse, die Duldung und die Vertuschung rund um den Missbrauch benannt werden. Und welche Namen darin Schwarz auf Weiß zu lesen sind. Das mache das Gutachten so wertvoll. Bei Missbrauch wegzuschauen, das sei für ihn genauso schlimm wie die Tat selbst. Ein Bischof, der einen Täter nur versetze, mache sich der Beihilfe und Begünstigung schuldig. "Wie vielen Kindern hätte der Missbrauch erspart werden können, wenn die Verantwortlichen konsequent gehandelt hätten?", fragt Held. Und kritisiert, dass überhaupt nicht auf die Betroffenen geschaut wurde: "Niemanden hat interessiert, was das mit den Kindern macht."
Auch darin unterscheide sich das Münchner Gutachten von allen vorherigen: Zum ersten Mal waren Betroffene gehört worden. Held: "Wir fordern schon lange: Redet mit uns, nicht über uns!" Das wünscht sich der Vertreter der Betroffenen auch für Speyer: "Wir müssen schonungslos alles offen legen." Nur wenn die katholische Kirche zu ihrer Verantwortung stehe, gebe es eine Chance auf Veränderung. Als nächsten Schritt müsse die Speyerer Aufarbeitungskommission ebenfalls ein Gutachten in Auftrag geben. Eines, das sich auch mit den Zeiten beschäftigt, in denen Wetter als Bischof in Speyer gewirkt hat.
In einer Stellungnahme des Bistums Speyer heißt es, man sei fest entschlossen, auf Grundlage der Studienergebnisse der im vergangenen Jahr gegründeten Aufarbeitungskommission die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Dazu zählten auch Fragen der öffentlichen Erinnerungskultur wie zum Beispiel die Benennung von Straßen oder öffentlichen Plätzen oder der Umgang mit Grabstätten von Priestern, die von der Studie als Missbrauchstäter ausgewiesen werden.
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