Anti-demokratische Tendenz in Pandemie
Wider das Virus des Autoritären

Heidelberg (hb). Die Warnung von Michael Roth Ende April war unmissverständlich. „Wir kämpfen gegen Corona, aber auch gegen das Virus des Autoritären“, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt der Zeitung „Die Welt“. Außergewöhnliche Zeiten erforderten zwar außergewöhnliche Befugnisse, aber parlamentarische Kontrolle und freie Medien seien „gerade jetzt wichtiger denn je.“ Niemand dürfe der Demokratie im Schatten der Pandemie die Luft abschnüren. Die Kritik des Außenpolitikexperten bezog sich zwar in erster Linie auf Europa, allen voran auf Ungarn, doch trifft sie auch auf etliche andere Staaten weltweit zu, in denen Regierungen skrupellos versuchen demokratische Gepflogenheiten vergessen zu machen und die Demokratie zu schwächen. Grund genug für den Freundeskreis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), die Problematik genauer zu beleuchten – bzw. von einem Politikwissenschaftler beleuchten zu lassen.
   Die Regionalgruppe Rhein-Neckar des DAAD-Alumnivereins begrüßte hierzu Ende Juli Professor Rahul Mukherji, den Chef des Instituts für Poltische Wissenschaft am Südasieninstitut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Bei seinem Onlinevortrag mit dem Titel „Covid 19 und Demokratie: Wie ein Virus autoritäre Neigungen verstärken kann“ waren Stipendiatinnen und Stipendiaten, Alumnae und Alumni des DAAD aus aller Welt zugeschaltet sowie auf Einladung des Freundeskreises auch das wissenschaftliche Personal des Südasieninstituts. Mukherji verwies gleich zu Beginn darauf, dass autoritäre Strömungen ein weltweiter Trend seien, erkennbar etwa an der Schwächung des Parlaments, insbesondere der Opposition, der Missachtung von Experten und Bürokraten sowie dem Ignorieren jeglichen Widerspruchs, meist verbunden mit an Judikative, Medien oder Aktivisten gerichtete Drohungen.
   Ein besonderes Augenmerk legte der Wahl-Heidelberger auf sein Heimatland Indien und die Regierung des seit über sechs Jahren amtierenden Premierministers Narendra Modi. Indien sei geradezu ein Paradebeispiel für autoritäre Neigungen, und Modi sei nicht nur für seine Geringschätzung klassischer Medien und fehlende wirtschaftliche Expertise bekannt, sondern habe gerade auch in der Corona-Pandemie gravierende Fehler begangen. So habe er etwa medizinische Ratschläge bewusst ausgeblendet, in den Bundesstaaten benötigte Gelder zur Pandemiebekämpfung zurückgehalten und viel zu spät auf die Not der Millionen Wanderarbeiter reagiert. Dieses Vorgehen hätten zum Versagen Indiens im Kampf gegen Covid-19 maßgeblich beigetragen. Mit über 1,5 Millionen bestätigten Fällen liegt das Land weltweit mittlerweile auf Platz drei hinter den USA und Brasilien und vor Russland - allesamt ebenfalls Staaten mit unübersehbar autoritären Tendenzen.
   Wie Demokratie wirklich funktioniert, zeigten im Anschluss die internationalen (Nachwuchs-)Akademikerinnen und Akademiker, die über Ausprägungen und Auswirkungen autoritären Gehabes weltweit teilweise sehr kontrovers, jedoch immer fair diskutierten und in Rede und Gegenrede ihre Argumentationslinien darlegten. Egal, ob Studierende im Grundstudium, Doktorandin oder emeritierter Professor mit jahrzehntelanger Erfahrung: Andere Auffassungen wurden geachtet, mutwillige Unterbrechungen waren Fehlanzeige, und der Ton blieb jederzeit sach- und freundlich - ganz im Sinne von Richard von Weizsäcker. „Demokratie lebt vom Streit, von der Diskussion um den richtigen Weg. Deshalb gehört zu ihr der Respekt vor der Meinung des anderen“, sagte einst der frühere Bundespräsident. Die englische Sprache bringt das seit dem 18. Jahrhundert sogar noch prägnanter auf den Punkt, das versöhnliche „Let´s agree to disagree“ erlaubt auch im kontroversesten Gespräch Gesichtswahrung. Zum Wortschatz autoritärer Führer wie Trump, Bolsonaro oder Modi dürfte dieser Spruch allerdings kaum gehören.

Foto: privat

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Autor:

Henning Belle aus Wochenblatt Rhein-Neckar

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