Im Land der Teufelszehen, uralten Salinen und gefräßigen Vögel
Lothringen erleben

Auf dem Hügel über der Seille bei Marsal verdeutlicht Michel Remillon die Entstehung der Salzschichten im Osten von Lothringen | Foto: Daniel Basler
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  • Auf dem Hügel über der Seille bei Marsal verdeutlicht Michel Remillon die Entstehung der Salzschichten im Osten von Lothringen
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Von Daniel J. Basler

So kennt man Lothringen: Es glänzt mit einer reichen Palette kulinarischer Genüsse und kulturhistorischer Stätten. Wer sich Zeit nimmt, findet in den stilleren Ecken des französischen Landstrichs, seit 2016 Teil der politischen Einheit Grand Est, zudem anmutige Naturräume und „gesalzene“ Geschichten.

Jeder Griff nach unten ist ein Treffer: Michel Remillon sammelt die walnussgroßen Steine auf dem Feldweg gleich reihenweise auf. Angekommen oben auf dem Hügel über dem Tal der Seille, mit Blick auf den elsässischen Bergzug des Col du Donon, holt er seine graubraun schimmernden Fundstücke mit sichtlicher Freude aus den Hosentaschen hervor.
„Um die 150 Millionen Jahre sind diese versteinerten Muschelschalen aus der Jura-Zeit alt, verwandt mit Austern, die im englischen Volksmund wegen ihres Aussehens Teufelszehen-Nagel und wissenschaftlich Gryphaea arcuata heißen“, taucht er erzählend ein in die bewegte Erdgeschichte, deren tektonische Prozesse den Menschen in diesem Teil Europas ein nutzbringendes Erbe hinterlassen haben.

Salzabbau prägte die Dörfer im Pays du Saulnois

„Verteilt über die ganze Senke, direkt unter unseren Füßen gibt es noch reichlich davon. Mit dem Rückgang des Meeresspiegels vor Jahrmillionen sammelten sich hier in einem Art Becken Unmengen eines kristallinen Stoffes“, deutet der 67-jährige Lokalhistoriker und ehemalige Landwirt auf das unterhalb der Anhöhe gelegene Dörfchen Marsal. „Die Salzschichten liegen gerade mal so um die 40 Meter unter den Wiesen und ihr früherer Abbau hat das Leben vieler Dörfer im Pays du Saulnois tiefgreifend geprägt. Wie das alles einmal war, haben wir in einer umfassenden Ausstellung zusammengetragen“, will er uns zum Abschluss unseres Treffens noch sein Steckenpferd, das Salzmuseum des Departments in Marsal, bei einer persönlichen Führung zeigen.
Wie die Gegend zwischen den Flüssen Mosel und Meurthe im Osten des Regionalen Naturparks Lothringens buchstäblich auf Salz gebaut war, wie es technisch gefördert wurde, wie von der Bronzezeit über die gallo-römische Epoche, das Mittelalter bis in die Neuzeit mit seiner Gewinnung Politik betrieben wurde, schildern chronologisch aufgebaute Stationen kurzweilig und anregend, und das auch mit deutschen Texten.

Salz war so wertvoll wie Gold

„Das weiße Gold hatte schon immer Anziehungskraft, besonders für die Herrschenden, denn die Salzsteuer sorgte für gute Einnahmen und damit gleichwohl für Macht, die damals militärisch abgesichert wurde“, verweist er auf die Gräben und Wälle, die der Festungsbaumeister Vauban im Auftrag des Sonnenkönigs im 17. Jahrhundert zum Schutz des wertvollen Minerals, das damals so hoch wie Gold gehandelt wurde, rund um das heute beschauliche Marsal errichten ließ. Andere ehemalige Zentren der Salzgewinnung waren Moyenvic, Château-Salins, Dieuze und Vic-sur-Seille, gleichfalls zu Trutzburgen befestigt.
„Sie alle standen durch die Jahrhunderte unter dem Schutz von Königen, Herzögen oder Bischöfen“, betont Michel Remillon, der als Förderkreis-Präsident des Marsaler Salzmuseums mit dazu beiträgt, die Erinnerung an den einst bedeutsamen Industriezweig wachzuhalten, „der damals nicht nur den Gemeinden im Seille-Tal, sondern ebenso dem nahegelegenen Metz einen nicht unerheblichen Teil ihres Reichtums bescherte. Das Aus der großen Salinen sei mit der Elektrizität und damit den Kühlgeräten zur Haltbarmachung von Fleisch und Fisch gekommen, allerdings habe in Einville südöstlich von Nancy ein Betrieb überlebt, der im Jahr
rund 25 000 Tonnen Salz für die chemische und pharmazeutische Industrie und in kleinen Mengen pures, reines Tafelsalz fördere, schließt der versierte Ortskundige den Exkurs in die nahezu verblasste wirtschaftliche Bedeutung des Salzes in seiner Heimat ab.

Naturpark Lothringen bewahrt Artenvielfalt

Thibaut Glasser ist Direktor des geschützten weiträumigen Gewässerbiotops Domaine de Lindre im östlichen Teil des Regionalen Naturparks Lothringen. Die einzigartige Seenlandschaft ist Heimat für unzählige Vogelarten und Brutstätte für Seeadler. 
 | Foto: Daniel Basler
  • Thibaut Glasser ist Direktor des geschützten weiträumigen Gewässerbiotops Domaine de Lindre im östlichen Teil des Regionalen Naturparks Lothringen. Die einzigartige Seenlandschaft ist Heimat für unzählige Vogelarten und Brutstätte für Seeadler.
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Ein paar Kilometer die Seille flussaufwärts lockt darüber hinaus ein weiteres bemerkenswertes Erbe Lothringens, das seit 2016 mit den Regionen Alsace und Champagne-Ardenne den politischen Zusammenschluss Grand Est bildet, Touristen an: Es liegt im Herzen des östlichen Teils des Regionalen Naturparks Lothringens (gegründet 1974) und hat gerade erst vor ein paar Monaten den Status eines UNESCO-Biosphärenreservats erhalten. Dass die Domaine de Lindre (Gesamtfläche knapp 1200 Hektar) mit dem großen Linderweiher beim kleinen Dorf Lindre-Basse (Besucherzentrum des Parks) und elf angrenzenden Feuchtbiotopen in die Reihe weltweit wichtiger Großschutzzonen eingereiht ist, kommt nicht von ungefähr.
„Biologische Vielfalt sicherzustellen, wirtschaftliche Entwicklungen und kulturelle, nachhaltige Werte gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung voranzubringen, ist seit vielen Jahren unser Credo“, resümiert Thibaut Glasser, Direktor der Departements-Domaine, die gute Umsetzung der gesteckten Ziele im Vogel- und Naturschutzgebiet. „Unser herausragender Artenreichtum mit über 240 verschiedenen Vögeln, darunter viele Watvögel oder der seltene Seeadler, fast 20 Amphibien- und Reptilienarten und etlichen, nur hier vorkommenden, endemischen Pflanzen ist für jedermann ganzjährig unter Beachtung der Parkregeln zugänglich“, freut er sich über den Zuspruch von jährlich rund 40 000 Besuchern, Schulklassen und Ornithologen, auch aus den Nachbarländern Luxemburg, Belgien und Deutschland.

Neben Naturexkursionen, ausgewiesenen Punkten zur Vogelbeobachtung und umweltbewusster Wissensvermittlung betreibt die schon seit dem 11. Jahrhundert bestehende Domäne eine professionelle Fischzuchtanlage. „Gut 80 Tonnen Süßwasserfische werden jährlich in den Teichen produziert, wobei gleich mal 50 Tonnen die ansässigen Vogelarten davon wegfressen“, bekennt der Direktor schmunzelnd und ergänzt. „Da wir unsere verschiedenen Süßwasserfische ohnehin nicht direkt kommerziell vermarkten, sondern nur an Angelvereine oder spezielle Fischhändler vertreiben, hat hier das ganzheitliche Interesse eines intakten Ökosystems Vorrang vor ökonomischen Zwecken.“

Touristische Auskünfte Lothringen und den Naturparks:

www.explore-grandest.com, www.tourisme-lorraine.fr, www.pnr-lorraine.com und www.domainedelindre.com

Museum für George de la Tour

In seinem Geburtsort Vic-sur-Seille wurde dem Maler Georges de la Tour ein Museum errichtet | Foto: Georg Basler
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Sehenswertes in Vic-sur-Seille: Im kleinen Städtchen im Salzgau finden sich nicht nur einige gut erhaltene Häuser aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, wie das Karmeliterkloster und Reste des ehemaligen Bischofpalastes. Hier ist auch der Geburtsort des Malers George de la Tour (1593-1652), den der Ort seit 2003 mit einem modernen Museumsbau würdigt. Zu sehen ist das außergewöhnliche Gemälde de la Tours „Johannes der Täufer in der Wüste“ und eine kleine Sammlung französischer Malerei des 17. bis 20. Jahrhunderts.
Infos: www.vic-sur-seille.fr

Grand Est

Wissenswertes zu Grand Est: Im Jahr 2015 beschloss die französische Regierung die Fusion von mehreren Landesregionen, sodass ab dem 1. Januar 2016 die Zahl der Regionen von zuvor 22 auf 13 Regionen abnahm. Die ehemalige Region Elsass bildet seitdem gemeinsam mit den ehemaligen Regionen Lothringen und Champagne- Ardennes die neue Großregion Grand Est mit Sitz in Straßburg. Sie gilt mit ihren rund 5,5 Millionen Einwohnern (viele sind bilingual) als die zweitbedeutendste Industrieregion Frankreichs und verfügt über verschiedenartigste Naturräume, darunter sechs Naturparks und 25 Naturschutzgebiete. Städtische Zentren sind neben der Europahauptstadt Straßburg Metz, Nancy, Reims und Mulhouse. Infos: www.grandest.fr

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Autor:

Roland Kohls aus Ludwigshafen

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