Er war der Musik so nahe...
Igor Levit & Antonio Pappano im Festspielhaus

Festspielhaus Baden Baden | Foto: Marko Cirkovic
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Die Bühne, ein monochromer Traum in Scheinwerferlicht getaucht, wird zum Schauplatz eines abstrakten Dramas. Aus dem Nichts tritt eine Gestalt hervor, in Dunkelheit gehüllt, ein geheimnisvoller Pianist. Dieser Pianist, eine Schattengestalt, bewegt sich durch den Raum wie ein Geist, dessen Existenz nur durch das flüchtige Schimmern des Lichts auf seinem schwarzen Gewand bestätigt wird. Der Steinway-Flügel vor ihm, ein monolithisches Symbol, wartet in stummer Erwartung.

Während das Orchester eine unsichtbare Symphonie des Vorhangs webt, wird der Pianist zum Architekten einer unsichtbaren Stadt aus Klang. Seine Finger, die sich dem Klavier nähern, jedoch nie berühren, tanzen die orchestralen Töne, ein Vorspiel einer ungeschriebenen Ode.

In diesem Zwischenraum von Bewegung und Stille, von Klang und Schweigen, offenbart sich eine tiefere Kommunikation, eine Verbindung, die über die physische Berührung hinausgeht. Es ist ein Flüstern, ein Hauch von etwas Unergründlichem, das im Raum schwebt.

Und dann, mit der Unerbittlichkeit eines aufziehenden Sturms, entfesselt der Pianist seine Sturmflut der Töne. Die Tasten werden endlich berührt, nicht einfach gespielt, sondern erweckt.

Als Kenner von Igor Levit habe ich seine Entwicklung und seine Karriere stets mit großem Interesse verfolgt. Sein politisches Engagement und seine Fähigkeit, sich über Musik hinaus auszudrücken, haben mich beeindruckt. Seine Wohnzimmerkonzerte auf Twitter während der Lockdown-Zeit waren eine Quelle der Inspiration für Tausende und haben seine Fähigkeit, die Menschen zu erreichen und zu bewegen, unter Beweis gestellt. Darüber hinaus ehre ich seine Haltung und seinen Mut, sich in einer oft zu politisch zurückhaltenden klassischen Musikwelt klar zu positionieren.

Meine persönliche Begegnung mit Levit bei der Eröffnung des Heidelberger Frühlings vor einigen Jahren war gleichermaßen beeindruckend. Er zeigte sich dort nicht nur als Musiker, sondern auch als außerordentlich sympathische Persönlichkeit. Diese Erinnerung ist mir bis heute lebhaft im Gedächtnis geblieben.

Jedoch, und dies mag überraschend klingen, hat Levits Spiel mich persönlich nie wirklich berührt. Diese innere Distanz zu seiner musikalischen Interpretation empfand ich heute bei seinem jüngsten Auftritt, bei dem er Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 in c-Moll op. 37 spielte. Trotz Levits unbestreitbarer Nähe zur Musik, seiner technischen Brillanz und seiner tiefen Verbindung zum Werk Beethovens, erreichte die Darbietung mich nicht. Es herrschte eine Kälte in der Aufführung, eine Art emotionale Entfernung, die ich nicht überbrücken konnte.

Er war der Musik so nahe. Aber meinem Herzen war er so fern.

Dabei lag es nicht am mangelnden Elan des Dirigenten Antonio Pappano, der das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia mit Energie und Lebhaftigkeit dirigierte. Pappanos Leitung war leidenschaftlich und mitreißend, und er schaffte es, dem Orchester eine beeindruckende Dynamik und Expressivität zu entlocken. Trotz dieser energischen Führung und der technischen Perfektion des gesamten Ensembles, blieb für mich eine emotionale Leere.

Das Publikum schien jedoch begeistert, und der Applaus am Ende des Konzerts war überwältigend. Dies ließ mich grübeln: Liegt es vielleicht an mir? Ist es meine persönliche Wahrnehmung, die mich daran hindert, die Tiefe und Emotion in Levits Interpretation zu erfassen?

Nach der Pause wandelte sich die Atmosphäre des Konzerts spürbar. Unter der meisterhaften Leitung von Antonio Pappano betrat das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia eine neue musikalische Landschaft mit Jean Sibelius' "En Saga, op. 9". Dieses frühe Werk von Sibelius, das eher selten im Konzertrepertoire zu finden ist, offenbarte unter Pappanos Dirigat seine volle Pracht und Tiefe.

"En Saga" ist ein Stück, das für seine Fähigkeit bekannt ist, filmische Bilder im Kopf des Zuhörers zu malen. Unter Pappanos Führung wurde diese Fähigkeit nicht nur realisiert, sondern in eine noch eindrucksvollere Dimension gehoben. Die musikalische Ausgestaltung des Werkes durch das Orchester war bemerkenswert. Pappano führte das Ensemble durch ein Spektrum von Emotionen und Klangfarben, die die Zuhörer in die vielschichtige Welt von Sibelius' musikalischer Erzählung entführte.

Das Besondere an Pappanos Interpretation war seine Fähigkeit, sowohl die monumentalen als auch die intimen, solistischen Momente des Stückes hervorzuheben. Er navigierte durch die extremen Tempi und dynamischen Schwankungen mit einem Temperament, das sowohl kraftvoll als auch präzise war. Jeder Abschnitt des Orchesters, von den Streichern bis zu den Bläsern, spielte mit einer Leidenschaft und Präzision, die das Publikum in Bann zog.

Die gewaltigen Crescendi des Stückes wurden mit solcher Intensität dargeboten, dass sie fast körperlich spürbar waren, während die zarteren, solistischen Passagen eine intime, fast kontemplative Atmosphäre schufen. Es war, als würde das Orchester jede Nuance von Sibelius' kompositorischem Genius einfangen und zum Leben erwecken.

Besonders beeindruckend war, wie Pappano und das Orchester die kontrastreichen Stimmungen und Texturen des Stücks handhabten. Sie bewegten sich geschmeidig von den dunklen, brodelnden Untertönen zu den lichtdurchfluteten, fast erhabenen Momenten, wobei jeder Übergang nahtlos und organisch wirkte.

Die Fortführung des Konzerts mit Richard Strauss' "Till Eulenspiegels lustige Streiche, op. 28", unter der Leitung von Antonio Pappano, war für mich eine Offenbarung. Die Energie, die sich in dieser Aufführung entlud, war so intensiv und mitreißend, dass sie eine ganz neue Erfahrung des Werks ermöglichte. Pappanos Interpretation, geprägt von ungewöhnlichen Tempi und einer außergewöhnlichen musikalischen Ausgestaltung, brachte eine Frische und Dynamik, die ich in früheren Darbietungen dieses Stücks vermisst hatte.

Es war faszinierend zu beobachten, wie Pappano die italienische Musiktradition in Strauss' deutscher Komposition integrierte. Dies verlieh dem Stück eine spielerische, fast kecke Qualität, die es gleichzeitig aufregend neu und dennoch werktreu erscheinen ließ. Diese Balance zwischen Respekt für die Partitur und der Einführung neuer interpretativer Elemente war meisterhaft umgesetzt.

Ein unerwarteter Zwischenfall – ein lautes Geräusch hinter der Bühne, das wie das Umfallen eines Gegenstandes klang – fügte der Performance eine ungewöhnliche Wendung hinzu. Die Professionalität, mit der Pappano und das Orchester dieses Missgeschick handhabten, war beeindruckend.Ohne Unterbrechung setzten sie das Stück fort, als wäre nichts geschehen, und schienen dadurch noch mehr Energie und Fokus zu gewinnen.

Das Ende von "Till Eulenspiegels lustige Streiche" war für mich ein Moment purer musikalischer Exzellenz. Die Art und Weise, wie das Stück trotz des Zwischenfalls zu einem fulminanten Abschluss gebracht wurde, zeigte die außergewöhnliche Kunstfertigkeit und das Engagement aller Beteiligten. Dieser Teil des Konzerts hinterließ bei mir einen nachhaltigen Eindruck, nicht nur wegen der künstlerischen Qualität, sondern auch wegen der unerwarteten Herausforderung, die so souverän gemeistert wurde.

Der Abend neigte sich dem Ende zu, und als krönender Abschluss erfüllte das Orchester unter Pappanos Leitung den Saal mit den emotionalen Klängen von Respighis Italiana für Orchester. Dieses Stück, ein flüsterndes Gedicht aus Tönen, umschmeichelte die Seele mit einer Mischung aus Melancholie und Euphorie. Die Musik breitete sich aus wie Wellen, die sanft an das Ufer der Herzen schlugen, und ließ einen Hauch von Sehnsucht und Träumen in der Luft zurück.

Dann, als hätte der Abend noch ein letztes, strahlendes Feuerwerk zu entzünden, folgte ein Ungarischer Tanz von Brahms. Dieses Stück, mit seiner lebhaften und mitreißenden Melodie, ließ den Saal in einem Rausch aus Rhythmus und Lebendigkeit erbeben. Es war, als würde der Tanz die Energie des gesamten Abends in sich aufnehmen und in einer letzten, ekstatischen Explosion freisetzen.

Der Applaus, der folgte, war nicht nur eine Anerkennung für die musikalische Leistung, sondern auch ein Ausdruck der tiefen emotionalen Reaktion, die diese letzten Stücke bei mir ausgelöst hatten. Ich fühlte mich erfüllt, angeregt und auf eine unbeschreibliche Weise bereichert.

Als ich das Festspielhaus Baden Baden verließ, schien die Nacht selbst in der Musik nachzuklingen, die ich gerade erlebt hatte. Die Sterne schienen heller, die Luft schien erfüllt von den Echos der Melodien und Harmonien, die noch immer in meinem Geist tanzten. Dieser Abend war nicht nur ein Konzert, es war eine Reise durch eine Welt aus Klang und Gefühl, ein poetisches Erlebnis, das mich jubelnd und zugleich in stiller Bewunderung zurückließ.

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Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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