Die Coronapandemie ist weiterhin eine Mammutaufgabe für die Veranstaltungswirtschaft - #Alarmstufe Rot
Eine Branche kämpft ums Überleben
Kirchheimbolanden.Fast ein Jahr sind wir nun schon in der Coronapandemie und die Lage in der Veranstaltungswirtschaft wird nicht einfacher, sondern immer belastender. Viele haben ihre Existenzen schon verloren und viele kämpfen noch um sie. Das Wochenblatt sprach mit Timo Holstein, Inhaber der Eventmanagement-Firma „EigenArtevents“, aus Kirchheimbolanden über die aktuelle Lage.
Von Claudia Bardon
???: Herr Holstein, Sie selbst sitzen auch in diesem Boot mit Ihrer Eventmanagement-Firma „EigenArtevents“ in Kirchheimbolanden. Wie geht es Ihnen nach fast einem Jahr in der Coronapandemie?
Timo Holstein: „Wir befinden uns in der Veranstaltungswirtschaft unterdessen im elften Monat „Lockdown“ und die Situation ist branchenübergreifend bedrohlich. Meine Mitarbeiter sind in Kurzarbeit „50“ und arbeiten das, was es gilt, um die – nennen wir es – Einsatzbereitschaft aufrecht zu halten. Wir arbeiten um das wenige, was stattfindet, abzuwickeln, aus dem Homeoffice, oder dezentral. Ich selbst habe gefühlte zehn bis zwölf Stunden-Tage, denn es ist ein Hamsterrad aus Troubleshooting, Juristerei und politischem/verbandspolitischem Engagement. Faktisch sind aber jegliche regionalen Vermietgeschäfte, örtliche Künstler-Bookings eingebrochen und kaufmännisch relevante Veranstaltungen haben in den letzten Monaten nicht stattgefunden. Bundesweit galt es, Konzertverschiebungen der von mir betreuten Acts im siebenstelligen Bereich zu verschieben oder eben auch abgesagt zu bekommen. Die mangelnde Planungssicherheit auch in den Sommer 2021 macht es nicht einfacher. Aber wir stehen im Vergleich zu vielen Kollegen stabil da. Die vergangenen Jahre in unserem kleinen „Gemischtwarenladen“ helfen hier zugegeben.“
???: Im Sommer 2020 gab es den ersten großen „Hilferuf“ der Veranstaltungswirtschaft mit der bundesweiten Aktion „Night of light“. Hat diese Aktion die Politik wachgerüttelt? Kamen die versprochenen Überbrückungshilfen bei Musikern, Veranstaltern oder Eventmanagern an und falls ja - reichen diese überhaupt aus, um nicht in eine Insolvenz zu rutschen?
Timo Holstein: „Es benötigte tatsächlich Monate, um seitens der Politik „Gehör“ zu finden, oder verstanden zu werden. Die Diversität dieser rund 1,5 Millionen Beschäftigten und Selbstständigen umfassende Branche zu verstehen und daraus abgeleitet passgenaue Hilfen aufzulegen, war und ist eine Mammutaufgabe.
Die einst als Gastrohilfe geplante November- und in Fortfolge auch Dezember-Hilfe, zielte zunächst ohne unsere Intervention zu 90 Prozent an den Beteiligten unseres Wirtschaftszweiges vorbei. Von „Bazooka“ zu sprechen, stets neue Programme lautstark anzukündigen, deren Hilfen später dann aber an Zugangshürden und unrealistischen Geschäftsfällen oder eben dem EU Beihilferahmen scheitern, das macht es nicht einfach. Die Software ist es sicherlich nicht, die die aktuellen Hilfen teils Monate verzögert fließen lassen. Vom Umgang mit den vielzitierten Soloselbstständigen ganz zu schweigen. Hier bleibe ich bei meiner zu Beginn der Pandemie getroffenen Aussage. Die Grundsicherung ist kein probates Mittel für all die Techniker, Freelancer, Berufsmusiker. In jedem Fall bleiben noch viele Bretter zu bohren. Die genaue Ausdefinition der nun in Überbrückungshilfe III und vor allem deren FAQ angekündigten Schritte und Hilfsmaßnahmen, wie der Ausfallversicherung, für ab Juli neu geplante Events, wird in den kommenden Tagen viel Arbeit bereiten. Hier müssen wir auf allen Ebenen der Verbandsarbeit großes Augenmerk legen, sodass zumindest dieses aktive Hilfsmittel des Neustarts greift.“
???: Sie sind Finanzvorstand des IMUC. Was ist IMUC und wie hilft IMUC?
Timo Holstein: „Der IMUC ist der Zusammenschluss von über 60 der führenden Musikmanager Deutschlands (www.imuc.de) . Wir beteiligten uns neben anderen Verbänden wie dem BDKV, ISDV, VPLT intensiv an dem politischen Diskurs mit Berlin, aber auch auf Landesebene. Bekannt wurde sicher der oben genannte Zusammenschluss #Alarmstuferot, die Kollegen halten hier federführend die Fahne hoch. Wir im Kleinen haben den „runden Tisch der Veranstaltungswirtschaft“ Rheinhessen/Pfalz gegründet, um uns in Mainz Gehör zu verschaffen.“
???: Sie selbst haben Musiker in Ihrer Betreuung, wie geht es diesen und wie meistern Sie gemeinsam diese Situation? Gab es schon Schützlinge, die aufgeben mussten?
Timo Holstein: „Die Bands im Management wie Glasperlenspiel („Echt“, „Geiles Leben“) und Michael Schulte (ESC-Star und Bambi Gewinner/„You let me walk alone“, „For a second“) spielten den vergangenen Sommer jeweils rund ein Dutzend Hybrid-Konzerte, um so zumindest für ihre Bands, Mietmusiker, Techniker und Crews den ein oder anderen Tagessatz zu ermöglichen. Diese Themen überstehen zugegeben die Krise. Komplex sieht es jedoch innerhalb der Wertschöpfungskette aus. Insolvenzen häufen sich, Truckingunternehmen, Technik-Dienstleister, Caterer, Versammlungsstätten und auch kleinere Freelancer und Musiker haben bereits aufgeben müssen, oder haben sich schlichtweg einen anderen Job gesucht. Es steht zu befürchten, dass bei einem Restart rund 40 Prozent der Player nicht mehr da sein werden.
???: Wie sieht aktuell die Zukunft in Ihrer Branche aus? Ist ein Restart in diesem Jahr überhaupt möglich? Falls ja- wie sieht dieser aus? Und was raten Sie jedem Einzelnen in der Veranstaltungsbranche, um sich vorab abzusichern?
Timo Holstein: „Die Quartale 1 und 2/2021 werden weiter als Totalausfälle zu verbuchen sein, da es auch keinen „Softstart“ bei uns geben kann. Indoor wird 2021 nichts Relevantes stattfinden können. Die Hoffnung bleibt, das Wetter, positiver Pandemie-Verlauf und Tools wie die angedachte Ausfallversicherung für Events ab Juli, zumindest den Sommer 2021 retten. Großveranstaltungen, zu denen viele Tausend Menschen auf einem Platz stehen werden, Festivals mit überregionaler Strahlkraft, wird es in gewohnter Form auch diesen Sommer sicher nicht geben. Wir werden sicher mit innovativen Ideen und Stück für Stück an Veranstaltungsformaten und Hybrid-Shows arbeiten. Aber auch hier bleibe ich bei meiner Meinung, die wir im politischen Diskurs immer wieder untermauern mussten. Man mag das ein oder andere digitalisieren können, gerade B2B-Events, Messen werden sicher künftig neue Wege gehen, aber gelebte Kultur, Erlebniswert, das Gefühl, in einer Masse zu feiern, zu erleben, zu genießen, lässt sich nicht ins Streaming transferieren. “
???: Welches Resümee ziehen Sie aus dem Jahr 2020?
Timo Holstein: „Es war ein Katastrophen-Jahr, das sich in dieser Form nicht wiederholen darf, sonst ist es das Ende der Veranstaltungswirtschaft, die weit mehr ist als die teils auch von der Politik wahrgenommene und oftmals durchgeförderte sogenannte E-Kultur. Ich blicke einfach mutig und hoffnungsvoll auf eine Zeit ab Sommer 2021.“ clh
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Autor:Claudia Bardon aus Wochenblatt Kirchheimbolanden |
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