Corona-Verordnung wegen Unverhältnismäßigkeit außer Vollzug gesetzt
Gericht kippt Beherbergungsverbot

Mannheim. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat mit Beschluss von heute einem Eilantrag gegen das baden-württembergische Beherbergungsverbot für Gäste aus deutschen Regionen, in denen die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde, stattgegeben.

§ 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Wirtschafts- und Sozialministeriums vom 15. Juli 2020 (in der ab 29. August 2020 geltenden Fassung) untersagt die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner in den vorangehenden sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) überschritten wurde. Die Verordnung sieht eine Ausnahme von diesem Beherbergungsverbot vor, wenn die Gäste einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 3 CoronaVO Beherbergungsverbot).

Die Antragsteller haben für die Zeit vom 16. Oktober 2020 bis zum 23. Oktober 2020 einen Urlaubsaufenthalt im Landkreis Ravensburg gebucht. Am 10. Oktober 2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Antragsteller wohnen, die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten Sars-CoV-22 Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten. Sie wenden sich gegen das Beherbergungsverbot und tragen vor, dieses mache den Aufenthalt in der gebuchten Unterkunft - die über 2.000 Euro gekostet habe - unmöglich und sei daher unverhältnismäßig und willkürlich. Die Möglichkeit zur Vorlage eines negativen Coronatests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Es sei bei vorangehenden Testungen in der Familie nie gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern mit Gesamtkosten von 774,55 Euro (154,91 Euro pro Test) erheblich.

Die Landesregierung (Antragsgegner) ist dem Antrag entgegengetreten. Das Beherbergungsverbot sei verhältnismäßig. Zahlreiche Ferienregionen, unter anderem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hätten im Hinblick auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens in der jüngeren Vergangenheit sehr gute Erfahrungen mit Reisebeschränkungen gemacht. Angesichts von mehr als 5.000 nachgewiesenen Neuinfektionen pro Tag sei aktuell nicht die Zeit, Beschränkungen zurückzunehmen.

Der 1. Senat des VGH hat dem Antrag stattgegeben und §§ 2 und 3 der CoronaVO Beherbergungsverbot mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung führt er aus: Das Beherbergungsverbot greife in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein und sei daher voraussichtlich verfassungswidrig. Eingriffszweck und Eingriffsintensität stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Der Antragsgegner verfolge mit der Eindämmung der Pandemie den Schutz von hochrangigen Rechtsgütern. Die Vorschrift diene dazu, Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Verlangsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen.

Jedoch habe der Antragsgegner bereits nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe, dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Derzeit seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt. Vielmehr sei aktueller „Treiber“ der Pandemie das Feiern in größeren Gruppen oder der Aufenthalt in Bereichen, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge, zum Beispiel in der Schule oder in verschiedenen Wohnsituationen (zum Beispiel Pflegeheimen oder Flüchtlingsunterkünften) nicht eingehalten würden. Die Landesregierung sei verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob konkrete Grundrechtseingriffe auch weiterhin zumutbar seien und ob das Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen noch in sich stimmig und tragbar sei. Bis auf Clubs und Discotheken seien sämtliche Geschäfte, Freizeit- und Sporteinrichtungen, Gaststätten, Bars und Vergnügungsstätten wieder - wenn auch mit Schutzvorkehrungen - geöffnet. Dass gerade Beherbergungsbetriebe, in denen nicht zwangsläufig eine große Zahl fremder Menschen aufeinanderträfen, sondern Gäste in abgeschlossenen Räumlichkeiten ggf. mit einer überschaubaren Personenanzahl übernachteten und deren Kontaktdaten hinterlegt seien, davon ausgenommen würden, erschließe sich nicht.

Es sei den Antragstellern nicht zumutbar, sich auf die Möglichkeit verweisen zu lassen, negative Coronatests vorzulegen. Nach derzeitiger Sachlage erscheine es nicht hinreichend gewährleistet, dass ein solcher Test von Reisenden überhaupt so kurzfristig erlangt werden könne. Schon aus rein organisatorischer Sicht sei fraglich, ob dieses enge Zeitfenster, in dem eine Abstrichentnahme durch medizinisches Fachpersonal, der Transport der Proben ins Labor sowie die Übermittlung des Ergebnisses und schließlich das Erscheinen des Gastes im Beherbergungsbetrieb stattfinden müsse, überhaupt eingehalten werden könne.

Der Beschluss, so die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtshofes, ist unanfechtbar (Az. 1 S 3156/20).
Dieser zwar vorläufig,  aber nun "außer Vollzug", so dass Ordnungsämter oder Polizei diesen nicht anwenden dürfen.

Ministerpräsident Kretschmann begründet die Absicht des Beherbergungsverbotes: „Sicherlich gehören Hotels nicht zu den Treibern der Infektion. Aber das Virus verbreitet sich nun mal auch durch Reisen. So kam es ja aus China in die ganze Welt und zum Beispiel im März aus Ischgl zu uns nach Baden-Württemberg." Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Baden-Württemberg sprach von einem Lockdown durch die Hintertür.

Das Beherbergungsverbot wurde auch in Niedersachsen gerichtlich gekippt, Sachsen zog freiwillig zurück. Rheinland-Pfalz hatte schon vor zwei Tagen verkündet, dieses vorerst nicht in Kraft zu setzen. Auch das Saarland wird vom umstrittenen Verbot Abstand nehmen.

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Autor:

Jens Vollmer aus Wochenblatt Kaiserslautern

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