Sexueller Missbrauch
Opfer bricht nach fast 50 Jahren das Schweigen
Speyer | Dannstadt-Schauernheim | Dahn. Fast 50 Jahre ist es her, doch Peter K. (Name von der Redaktion geändert) hat die Geschehnisse aus dem Jahr 1975 weder vergessen noch vollständig verarbeitet. Der heute 55-Jährige besuchte damals die dritte Klasse der Grundschule in Schauernheim. Für den Religionsunterricht war der katholische Pfarrer in Dannstadt-Schauernheim zuständig.
Im September 1975 setzte der eigenmächtig Aufklärungsunterricht auf den Stundenplan: Peter K. und ein Mädchen aus seiner Klasse mussten sich ausziehen und auf zwei zusammengeschobene Schulpulte klettern. Sodann erläuterte der Pfarrer den Mitschülern an den beiden nackten Körpern der Kinder die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, fasste die Schülerin und den Schüler dabei auch an. Splitterfasernackt mussten die beiden sich drehen, bücken, die Beine spreizen. "Ich habe mich so geschämt", erinnert sich Peter K., der anonym bleiben will.
"Ich habe damals mein Vertrauen in die Erwachsenen verloren"
Peter K. ist acht Jahre alt, sein Peiniger als Lehrer und Pfarrer nicht nur für ihn über jeden Zweifel erhaben. Zuhause erzählt Peter K. nichts von der erlittenen Tortur. Die Eltern erfahren erst davon, als die Polizei ins Haus kommt, um den Schüler zu befragen. Eine anonyme Anzeige belastet den Pfarrer. Wieder schämt sich Peter K., sucht den Fehler bei sich. Seine schockierten Eltern reagieren mit Schweigen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Pfarrer, dem sexueller Missbrauch an sechs Kindern der ersten und dritten Klasse vorgeworfen wird, wird versetzt. Weder im Hause K. noch in der Schule wird je wieder über ihn oder über seine Taten gesprochen. "Ich habe damals mein Vertrauen in die Erwachsenen verloren", sagt Peter K. heute. Dass er nach so vielen Jahren mit seiner Geschichte nach außen geht, hilft ihm bei der Bewältigung.
Doch das alleine ist nicht der Grund für sein Handeln. Peter K. ist mehr als unzufrieden mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche; er möchte den Opfern mehr Gehör verschaffen. Nach Bekanntwerden der Vorfälle an der Schauernheimer Grundschule wird der Pfarrer zunächst beurlaubt und Ende 1977 dann versetzt. Als Krankenhaus-Seelsorger ans St. Josef Krankenhaus nach Dahn. Und obwohl der Pfarrer 1978 durch das Landgericht Frankenthal rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Kindern verurteilt wird, bleibt er nicht nur in Diensten der katholischen Kirche, es wurde wohl auch an seiner neuen Wirkungsstätte nicht über die Vorgeschichte des Mannes informiert. Hat die katholische Kirche den verurteilten Sexualstraftäter geschützt?
Schützt die Kirche Sexualstraftäter?
Der damalige Speyerer Bischof, der heutige Kardinal Friedrich Wetter, will nichts von den Vorfällen und der Verurteilung gewusst haben. Doch unter seiner Führung scheint Vertuschung eine gängige Methode gewesen zu sein. Gut ein Jahr ist es jetzt her, dass ein Missbrauchsgutachten die Rolle, die Wetter bei der Vertuschung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising gespielt hat, öffentlich gemacht hat. Die katholische Welt gab sich damals schwer erschüttert. Passiert ist: nichts. Nach wir vor tut sich die katholische Kirche schwer mit der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Seit anderthalb Jahren arbeitet eine Unabhängige Kommission an der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle im Bistum Speyer. Deren erstes Ziel ist es, eine Speyerer Missbrauchsstudie in Auftrag zu geben. Das Konzept steht, doch die Vertragsunterzeichnung verzögert sich. Wegen Datenschutzbedenken wurde den Historikern bislang noch kein Zugang zu den Archiven des Bistums gewährt.
"Das geht alles zu langsam", sagt Peter K., der zudem anprangert, dass die katholische Kirche die geistige Heimat der Täter ist, sie aber zugleich Kläger und Richter sein will. Die katholische Kirche müsse ihre passive Grundhaltung aufgeben und begreifen, dass sie bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle proaktiv auf die Menschen zugehen müsse, um lückenlos aufzuklären und zu informieren. "Ich möchte anderen Opfern Mut machen, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen", sagt Peter K. Für das ihm angetane Leid hat er Entschädigung beantragt. Ob er etwas bekommt und in welcher Höhe, das sei ihm eigentlich egal. Doch wer nichts sage, der schütze am Ende die Täter. Nach fast 50 Jahren Schweigen redet Peter K. Seitdem geht es ihm besser.
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.