Sonderausstellung im Badischen Landesmuseum
„Göttinnen des Jugendstils“ bis 19. Juni 2022 in Karlsruhe
Karlsruhe. Frauen erobern die Kunst! Um 1900 herrscht Aufbruchstimmung: Die Frau steht im Zentrum künstlerischer Darstellungen – verführerisch, floral-verspielt oder mystisch überhöht. Obgleich Kunst und Realität von Männern dominiert werden, machen sich Frauen zunehmend unabhängiger, ergreifen Berufe und treten als gefeierte und anerkannte Künstlerinnen in Erscheinung.
Ausstellung im Karlsruher Schloss
Die Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ im Badischen Landesmuseum zeichnet ab 18. Dezember bis 19. Juni 2022 das Porträt einer faszinierenden Zeit, schildert Kunst-, Konsum- und Lebenswelten der modernen Frau um 1900 – und bietet auch Künstlerinnen selbst eine Bühne. Die Schau im Schloss Karlsruhe entsteht in Kooperation mit dem "Allard Pierson" in Amsterdam und dem Braunschweigischen Landesmuseum.
Der Jugendstil spiegelt die gesellschaftlichen Umbrüche um 1900. Die Industrialisierung wirkt sich massiv auf Gesellschaft und Umwelt der Menschen aus. In vielen Ländern erstarkt der Nationalismus und ein von europäischen Großmächten ausgehender Kolonialismus prägt die gesamte Welt. In den Städten etablieren sich neue Formen der Konsum- und Unterhaltungskultur. Wissenschaftliche Erkenntnisse sowie philosophische und neue religiöse Ansätze bringen das bisherige Menschenbild ins Wanken. Es entstehen neue radikale Lebensentwürfe, Fortschrittsglaube prallt auf Kulturpessimismus.
Jugendstil im Blick
In dieser Zeit tiefgreifender Veränderungen wendet sich der Jugendstil gegen den traditionellen Historismus und entwickelt eine völlig neue Formensprache. Dabei verleihen viele Künstlerinnen und Künstler ihren Gefühlen und Haltungen durch weibliche Figuren Ausdruck. „Göttinnen des Jugendstils“ präsentiert Besuchern das einzigartige Phänomen der vielfältigen Frauendarstellungen im Jugendstil: Junge Frauen mit Blumen im wallenden Haar symbolisieren die Reinheit der Natur – in Abgrenzung zum Schmutz und Lärm der Industrielandschaften und Großstädte. Als meisterhaftes Beispiel für die naturmystische Verklärung gilt die Büste "La Nature", die von Alfons Mucha für die Pariser Weltausstellung 1900 erschaffen wurde – ein Highlight der Karlsruher Ausstellung!
Aber auch sinnlich-düstere Frauenfiguren wie die männermordende Medusa oder solche, die zur Sünde verlocken und Verderben mit sich bringen, finden sich in der Sonderausstellung wieder. Sie stehen symbolhaft für den befürchteten kulturellen Verfall des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dekadenz und Natur faszinieren die Jugendstil-Künstler gleichermaßen. Obwohl sich der Jugendstil intensiv mit den gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit auseinandersetzt, finden die von Repressionen geprägten Lebensumstände vieler Frauen in der Kunst kaum Widerhall. Doch markiert die Zeit um 1900 eine Kehrtwende, die auch den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung eindrücklich vor Augen geführt wird: Frauen organisieren sich erstmals in Vereinen und verlangen nach Bildung und Berufstätigkeit, gesellschaftlicher Teilhabe und politischer Mitsprache. In Karlsruhe wird 1893 das erste Mädchengymnasium Deutschlands eröffnet.
Erste Studentinnen schreiben sich an den Universitäten von Freiburg und Heidelberg ein. Frauen wagen sich trotz schwieriger Voraussetzungen als freischaffende Künstlerinnen auf den Kunstmarkt. Sie befreien sich im wahrsten Sinne des Wortes von alten Korsetts, entwerfen Reformkleider, die mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen, und werden sportlich aktiv. Weltstars wie die Tänzerin Loïe Fuller oder die Schauspielerin Sarah Bernhardt stehen auf den großen Bühnen der Welt, verzaubern das Publikum und erhalten nicht zuletzt durch die allgegenwärtige Plakatkunst namhafter Jugendstil-Künstler wie Alfons Mucha den Status lebender Ikonen.
Nur wenige Künstlerinnen der Zeit um 1900 sind bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung so präsent wie Loïe Fuller oder Sarah Bernhardt. Dabei gab es zahlreiche Frauen, die selbstbewusst in Erscheinung traten. Diesen viele Jahrzehnte in Vergessenheit geratenen Künstlerinnen bietet die Ausstellung ebenso wie bislang kaum bekannten Persönlichkeiten eine Bühne: Gezeigt werden Werke der erfolgreichen Karlsruher Modeunternehmerin Emmy Schoch oder der bedeutenden Keramikerin Jutta Sika, die zwar für die Wiener Werkstätte Entwürfe lieferte, aber nicht mit ihrem eigenen Namen signierte. Änne Koken war eine der ersten Werbegrafikerinnen Deutschlands, die das Corporate Design für bis heute existierende Firmen wie Bahlsen oder Appel Feinkost entwickelte. Aber auch die Malerin Julie Wolfthorn, die viele ihrer berühmten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen porträtierte, ist mit ihrem Gemälde „Das Mädchen mit blaugrünen Augen“ vertreten, das eigens für die große Ausstellung aus den USA nach Karlsruhe gereist ist.
Infos: Die Ausstellung vereint spektakuläre Werke des Jugendstils: aus den Beständen der drei Kooperationspartner sowie internationaler Jugendstil-Sammlungen des Königlichen Museums für Kunst und Geschichte in Brüssel, aus dem Reichsmuseum Amsterdam, dem Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, dem Institut Mathildenhöhe Darmstadt oder aus Privatbesitz. Darunter finden sich einzigartige Objekte namhafter Jugendstil-Künstler wie Franz von Stuck, Hans Christiansen, Agathon Léonard, René Lalique, Jan Toorop und Aubrey Beardsley, von dem eine bislang unbekannte Federzeichnung einer Erinnye, einer griechischen Rachegöttin, erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert wird. Der über drei Meter hohe Künstlerentwurf von August Wilckens für einen Wandteppich mit einer Darstellung aus der nordischen Mythologie aus dem Museum in Flensburg kann nach über 100 Jahren wieder gezeigt werden. Anhand großformatiger Gemälde, extravaganter Elfenbein- und Bronzefiguren, hochwertiger Keramiken, exquisitem Gold- und Silberschmuck zeigt die Ausstellung die Ambivalenzen einer bewegten Zeit. Vor dem Hintergrund der sozialgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Dynamiken offenbaren die Kunstwerke Bedeutungsebenen, die weit über einen rein ästhetischen Anspruch hinausgehen. Vier Medienstationen setzen zudem Gegenwartsbezüge und laden die Besucherinnen und Besucher ein, wichtigen Themen der Ausstellung auch in unserer heutigen Zeit nachzuspüren, www.landesmuseum.de
Autor:Jo Wagner |
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