"Schwerdica"
Drei Tage lang ist das Schwerd-Gymnasium ein eigener Staat
Speyer. "Und wie kann ich Dir helfen?" Im provisorisch eingerichteten Büro des Orga-Teams im Erdgeschoß des Altbaus ist an diesem Montag der Teufel los. Leon Theuer beantwortet im Akkord die Fragen seiner Mitschüler am Friedrich-Magnus-Schwerd-Gymnasium in Speyer. Es geht vor allem um die QR-Codes, mit denen die 900 Bürger des Staates "Schwerdica" - also die Schüler und Lehrer - einchecken müssen, aber auch um die Warenausgabe an die 85 Betriebe oder um die Bezahlung mit der neuen eigenen Währung.
Für die zehn Schüler, die das Projekt "Schule als Staat" von Montag bis Mittwoch am Schwerd-Gymnasium umgesetzt haben, offenbart sich an diesem ersten Morgen gleich auch die erste Schwäche ihres Projektes, an dem sie seit Januar planen. "Obwohl alle Informationen auf einer eigens programmierten Website stehen, wir über Teams kommunizieren und das Projekt in den Klassen vorgestellt haben, sind viele Infos nicht bei den Schülern angekommen", sagt Jano Klaus, ebenfalls Mitglied im Orga-Team. Tatsächlich haben viele der jüngeren Schüler kein Handy - und sich nach dem Homeschooling teilweise auch schon wieder von Teams verabschiedet.
"An der Kommunikation muss man arbeiten", resümiert Jano Klaus bereits kurz nach Projektstart. Auch die Warenausgabe am Morgen hat das Orga-Team gefordert. Es bildeten sich lange Schlangen - und ob am Ende auch jeder die Ware erhalten hat, die er bestellt hat, weiß niemand so ganz genau. Jetzt auf jeden Fall ist das Warenlager im Keller leer - bis auf ein paar Packungen Toast, Kartoffelchips, drei Dosen Kichererbsen und eine frische Ananas. Bis 15.30 Uhr haben die Betriebe Zeit, neue Ware zu ordern. Anschließend macht sich das Orga-Team erneut auf den Weg, um das Lager aufzufüllen, damit die Betriebe auch am Folgetag Crêpes und Waffeln backen, Sandwiches, Cocktails oder Popcorn zubereiten und Pizza sowie Süßigkeiten verkaufen können.
Drei Tage sind sehr kurz für das Projekt
"Gefühlt haben wir heute alle schon einen Marathon zurückgelegt", sagt Jano Klaus. Es war eine gute Entscheidung, dass die Organisatoren nicht zugleich auch noch einen Beruf angenommen haben. Das war einer der hilfreichen Tipps, die der Kontakt mit ehemaligen Schülern gebracht hat. Bereits 2015 war Schule als Staat als Projekt schon einmal am Schwerd-Gymnasium umgesetzt worden - damals ohne digitale Unterstützung als reine "Zettelwirtschaft", weshalb es nur wenig gibt, worauf man hätte aufbauen können. 2020 war das Projekt bereits geplant, fiel dann aber wegen Corona ins Wasser.
Eigentlich hätten die Projektverantwortlichen gerne mehr Zeit gehabt: Drei Tage sind sehr kurz, fünf wären besser gewesen, doch das war wegen schulinterner Veranstaltungen nicht machbar. Im Wesentlichen hat man sich daher auf ein basisdemokratisches Grundsystem geeinigt - mit nur wenigen Kontrollorganen. Anträge können von der Basis aus schnell durchgereicht werden. Ein elfköpfiger Rat - zehn Schüler und ein Lehrer - fungieren als Gesetzgeber. An der Spitze steht ein von allen gewählter Kanzler. Es gibt einen Zoll. Seine Hauptaufgabe ist es, die Anwesenheit der Schüler zu dokumentieren, aber die Jungs und Mädels mit den orangenen Warnwesten achten auch darauf, dass keine Waren rein- oder rausgeschmuggelt werden.
Ein Lehrer ist gerade dabei mit einigen Schülern im Erdgeschoß die Fensterscheiben zu putzen - sie haben ein Unternehmen für Glasreinigung gegründet. Es gibt eine Schneiderei, eine "Hall of Games", eine Werbeagentur, DJ-Schule und Ball-Arena, ein Künstleratelier, eine Detektei, eine Buchbinderei, Anwälte und gleich mehrere Medienunternehmen. Die "Schwerdlerische Rundschau" hat bereits einige Posts und Stories auf Instagram veröffentlicht, darunter auch Nachrichten über Eheschließungen. Denn: Wer sich auf dem Standesamt trauen lässt, zahlt nur halb so viel Steuern auf seine schwer verdienten "Schwerdlerkröten" (SK). Das hat sich herumgesprochen.
Heiraten lohnt sich in "Schwerdica"
Jeder "Schwerdica"-Bürger hat 15 Euro eingezahlt - und dafür ein Startgeld von 50 Schwerdlerkröten auf seinem digitalen Konto verbucht bekommen. Während die einen ihre Betriebsidee deutlich auf die Mehrung ihres Kapitals angelegt haben - alles, was mit Essen und Trinken zu tun hat, läuft hervorragend - gibt es auch viele Unternehmen, bei denen das Vergnügen im Vordergrund steht. "Da sich die freie Marktwirtschaft in drei Tagen eh nicht realitätsnah abbilden lässt, sollte jeder das machen, was ihm Spaß macht", sagt dazu Orga-Teammitglied Yannick Naunin.
Wo es den Organisatoren sinnvoll erschien, zahlt dann auch schon mal der Staat den Lohn. Bei den Buchbindern zum Beispiel. Das Wirtschaftskontrollamt hat ein Auge darauf, dass es keine unfairen Absprachen gibt. Die Steuern gehen - dank der Programmierung, um die sich vor allem Leon Theuer verdient gemacht hat - automatisch ans Finanzamt. Die "Behörde" soll aber auch ein Auge darauf haben, ob allen der Lohn ausgezahlt wird. Fünf SK pro Stunde sind Mindestlohn in "Schwerdica". Eben fällt den Mitgliedern des Orga-Teams auf, dass sie sich überhaupt keine Gedanken gemacht haben, wie sie eigentlich bezahlt werden. Und ob überhaupt. Egal. Zeit, Geld auszugeben, hatten sie bislang eh noch keine.
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