Ein Leuchtender Abend
Sarah Christian verzaubert den Rosengarten Mannheim
Ein Abend voller musikalischer Kontraste erwartete das Publikum im Mannheimer Rosengarten, als GMD Roberto Rizzi Brignoli das Nationaltheater-Orchester durch Werke von Tschaikowski und Schostakowitsch führte. Die Violinistin Sarah Christian versprach mit ihrem Auftritt im Tschaikowski-Konzert ein Highlight zu werden, und tatsächlich übertraf sie alle Erwartungen.
Bereits vor Beginn des Konzerts zeichnete sich ein ungewöhnliches Bild: Eine lange Schlange wartete geduldig darauf, die Tickets abzuholen. Das Konzert begann verspätet, und auch Minuten nach dem offiziellen Beginn strömten noch immer junge Menschen in den Saal. Der Grund dafür war die aufwendige Kontrolle von Schüler- und Studierendenausweisen – ein interessanter Auswuchs unserer Bürokratie, der den Fluss des Abends störte und mich im Hinblick auf meinen möglicherweise verpassten Zug verärgerte.
Als das Orchester schließlich die Bühne betrat, eröffnete es mit einem energischen Einstieg in Tschaikowskis Violinkonzert D-Dur op. 35. Doch sofort fiel auf, dass die Violine sich diesem Ansatz nicht fügen wollte. Zu allem Überfluss begann die Dame neben mir leise mitzusingen – eine Ablenkung, die ebenso störend war wie das fahrige Dirigat von Rizzi Brignoli. Sein fuchtelndes Dirigieren wirkte wild und unverbunden mit der Musik, ein Kontrast zu dem handzahmen Orchester, das offenbar seinen eigenen Weg suchte.
Inmitten dieses Chaos’ stand Sarah Christian wie ein Leuchtfeuer. Sie schaffte es, trotz der uninspirierten Begleitung, mit einem unglaublich differenzierten Spiel zu berühren. Ihr tiefes Verständnis für die Musik offenbarte sich in jeder Phrase, in jedem Ton. Es schien fast, als würde sie das Orchester führen – oder vielmehr gegen das uninspirierte Dirigat ankämpfen. Gähnende Langeweile im ersten Satz wurde durch ihre Virtuosität erträglich gemacht.
Im zweiten Satz entfaltete die Violine eine melodiöse Erzählung, die alles überstrahlte. Die solistischen Einsätze des Orchesters wurden von ihrer unglaublichen Qualität getragen. Es war ein Satz, in dem man sich verlieren konnte, ein Moment der Transzendenz. Und dann, im dritten Satz, synchronisierte sich endlich alles: Orchester und Solistin schufen etwas Unglaubliches. Das Publikum jubelte verdientermaßen nach diesem fulminanten Finale.
Nach der Pause stand Schostakowitschs Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 auf dem Programm. Der Beginn war klar und vielversprechend, doch plötzlich zog der Dirigent die Handbremse. Die anfängliche Klarheit verblasste und blieb fern, bis der Marsch des ersten Satzes eintrat – wunderbar ausgearbeitet und extrem emotional. Doch danach verfiel das Spiel wieder in Trägheit, und man fragte sich unwillkürlich: Warum?
Der zweite Satz hingegen besaß die nötige Energie. Kraftvoll entfalteten die Hörner ein extremes Fortissimo, die erste Geige spielte ein grandioses Solo. Hier zeigte das Orchester, wozu es fähig ist, wenn es die Zügel loslässt. Der Satz, ein Allegretto, bestach durch seinen ironischen Charakter und die subtile Mischung aus Walzer und Scherzo. Die rhythmischen Finessen und die scharfen Kontraste wurden vom Orchester mit Präzision und Spielfreude dargeboten.
Doch es war der dritte Satz, der den Abend zu einem wahrhaft unvergesslichen Erlebnis machte. Dieser Largo-Satz ist das emotionale Herzstück der Sinfonie, ein tiefer Ausdruck von Schmerz und Sehnsucht. Das Orchester erzeugte eine Atmosphäre von fast greifbarer Intensität. Die Streicher entfalteten einen satten, warmen Klangteppich, der die Zuhörer in eine andere Welt entführte. Jede Phrase war sorgfältig geformt, jede Dynamik fein abgestimmt.
Die Melodien schienen direkt aus der Seele zu sprechen, ein kollektiver Aufschrei gegen Leid und Unterdrückung. Die Steigerung des Satzes war meisterhaft , das klangliche Wunder baute sich langsam auf und die Spannung steigerte sich ins Unerträgliche. Man spürte förmlich die existenzielle Frage, die in der Musik mitschwang: Verdienen wir Menschen den Frieden?
Besonders bemerkenswert war die Art und Weise, wie das Orchester die feinen Nuancen zwischen Hoffnung und Verzweiflung darstellte. Die Musik oszillierte zwischen zarter Verletzlichkeit und kraftvoller Intensität, ohne jemals die emotionale Balance zu verlieren. Der Dirigent ließ hier dem Orchester endlich den Raum, den es benötigte, um die Tiefen dieses Satzes auszuloten. Der Satz endete in einem kaum hörbaren Verklingen, einem Hoffnungsschimmer, der in der Stille des Saales nachhallte.
So weich und zart der dritte Satz war, so brutal und scharf begann das Finale. Ein extremer Akzent jagte den nächsten. Diese Expressivität war überirdisch, das Werk wurde an seine äußersten Grenzen getrieben. Dann plötzlich nahm Rizzi Brignoli das Orchester zurück, und der Kontrast war perfekt. Das Finale war dramatisch und zeigte die ganze Tragik unserer Zeit, ein zeitloses Werk, das für alle Ewigkeit Bestand haben wird.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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