Judo-Sportverein Speyer
Training zwischen Matte und Bildschirm
Speyer. Was ist beim Judo-Sportverein Speyer aktuell los, während eigentlich gar nichts los ist. Oder: Was macht ein Sportverein ohne Sportler? Als Pippi Langstrumpf verkleidet schaltet Nicole den Computer ein. Sie überprüft die Kamera, stellt sich auf ihre Position und begrüßt die ersten Kinder, die schon erwartungsfroh vor ihren Bildschirmen sitzen. Gerlinde (im Igelkostüm) kommt dazu. Zusammen bewegen sie die „Turntiger“, Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren.
Die wissen schon: Trainingszeit heißt, Computer einschalten und im virtuellen Raum auf den Beginn warten. Vor dem Training gibt es einen Austausch über Familienstress, ausgefallene Geburtstagsfeiern oder eben an Fasching über die Superkräfte von Pippi Langstrumpf. Parallel zur Faschingsparty laufen im anderen Raum Tanzspiele für die Mini-Turntiger, später geht es auf Dschungeltour durchs heimische Wohnzimmer, während zeitgleich neue Spielaktionen für zuhause im Judomaxx-Filmstudio gedreht werden. Abends starten auf der Matte, im Gymnastikraum und aus dem Homeoffice Online-Trainingseinheiten für die Kinder- Judogruppen. Seit fast einem Jahr kennen die Judoka den Sportersatz. Die allermeisten sind regelmäßig drei Mal, einige sogar fünf Mal in der Woche virtuell in der Judo-Sporthalle.
Eine Stunde Waldspaziergang als Hauptgewinn
Fast alle Übungsleiter und Trainerinnen haben die Scheu vor der Technik und dem ungewohnten Training abgelegt. „Die hohe Trainingsbeteiligung motiviert. Bis zu 35 Kinder sind gleichzeitig aus ihrem Wohnzimmer aktiv und live dabei. Unsere Kurzvideos werden bis zu 170 mal abgerufen“, so die hauptamtliche Kindertrainerin Nicole Seiler. „Außerdem freuen wir uns alle sehr, die Kinder wieder zu sehen – und umgekehrt genauso.“ Um einige Kinder auch wieder „in echt“ zu sehen, haben sich die Anleiterinnen eine Überraschung ausgedacht: Jede Woche wird per Los ein Kind gezogen, das als Hauptgewinn eine Stunde Waldspaziergang geschenkt bekommt. Die Freude über den Gewinn ist groß: Auf Seiten des Kindes, auf Seiten der Übungsleiterin und auf Seiten der Mutter. Für alle anderen hat Nicole rund um den Sportplatz hinter dem Judomaxx eine Rallye mit Bewegungsaufgaben und Sportstationen ausgehängt, die bei dem Frühlingswetter sehr dankbar angenommen wird.
Neben Rallye, Bewegungsvideos und Online-Training für die Turntiger finden auch Judotraining, Technik- und Krafteinheiten regelmäßig statt, zusätzlich Laufen über den Vereinswettbewerb des Hockey Clubs Speyer. Als Belohnung für das beharrliche Online-Training der Judoka wurden Online-Gürtelprüfungen angesetzt, was eine große Herausforderung für Prüflinge sowie Prüfer Markus Kost und Alexandra Schölch bedeutete. Wer keine willigen Eltern oder Geschwister als Trainingspartner hatte, behalf sich mit selbst gebastelten Trainingspuppen oder Riesen-Kuscheltieren, um Wurf-Techniken zu üben. 90 Judoka wechselten Ende des Jahres ihre Gürtelfarbe und erhielten ihre Prüfungsurkunde. Aktuell ist das Training lockerer, es gibt lustige Fitnesswettbewerbe, Wohnzimmerkonzerte, Büttenreden und Witzerunden im Anschluss an den Bewegungsteil. „Man muss sich schon etwas einfallen lassen, um die Motivation der Kinder hochzuhalten“, stellen die Trainer fest.
Leistungssportler trainieren wieder
Das gute Gefühl, wieder die Judomatte betreten zu können, haben seit Anfang Februar die Bundesligaathletinnen und der Landeskader. Nachdem die Inzidenzwerte für Speyer gefallen waren, war die Sporthalle wieder für das Training im Leistungssport freigegeben. Beschränkt auf acht Personen pro Mattendrittel und mit festen Partnern startete das Techniktraining langsam wieder. Die vorherige Anmeldung und die Einhaltung der Hygieneregeln ist für alle selbstverständlich. Julia Holstein, Team-Mitglied der 2. Bundesliga Frauen Süd, nutzt die Möglichkeit in der ersten Woche wie viele andere und war an fünf Tagen dabei: „Auch wenn wir vorher online zusammen trainiert haben, ist es doch etwas anderes, endlich wieder ins Judomaxx zu dürfen. Wieder auf der Matte zu stehen und mit Kontakt zu trainieren ist einfach ein tolles Gefühl!“
Allerdings bedeutet dies nun doppelten Aufwand für die Trainer Peter Lichtmanneger, Markus Kost und Volker Heyer: 24 Athleten in der Halle und gleichzeitig 20 weitere am Bildschirm wollen motiviert und mit Aufgaben versehen sein. Aber die Trainer beschweren sich nicht. Auch sie sind froh, wieder vor Ort zu unterrichten und planen bereits erste Tageslehrgängen am Wochenende zur Vorbereitung der Bundesliga-Saison. Der erste Heimkampftag der Männer ist für den 17. April geplant. Allerdings fordert der Deutsche Judobund zurecht, dass vor Saisonstart alle Ligavereine acht Wochen lang die Möglichkeit haben müssen, real mit Partner zu trainieren. Die Acht-Wochen-Frist beginnt, wenn in jedem Bundesland Liga-Athleten wieder trainieren dürfen. Das ist noch nicht der Fall.
Erster Heimkampftag für 17. April geplant
Am liebsten möchten die Trainer für den Tageslehrgang pfalzweit die Kaderathleten einladen. Die Planung dafür ist aufwändig: Wie viele Leute dürfen gemeinsam trainieren? Wollen wir das Risiko eingehen? Wie sieht ein passendes Hygienekonzept aus? Können wir nicht vorher Schnelltests machen lassen, um noch sicherer zu sein (kostet den Verein 600 Euro pro Tag)? Können wir die Gruppen entzerren? Haben wir genügend Personal? Zum Glück hat der Judo-Sportverein Speyer hauptamtliches Personal, das sich um solche Fragen zeitnah kümmern kann. Für Vereine mit rein ehrenamtlichen Trainern dürfte es ungleich schwieriger sein, ihren Mitgliedern passende und sichere Angebote zu unterbreiten.
Alle anderen JSV-Mitglieder, die keinen Kaderstatus haben, können sich weiterhin über verschiedene online-Angebote fit halten. Mit ihren 84 Jahren hatte JSV-Übungsleiterin Ursula Matthaei keine Scheu, ihr Training vor den Bildschirm zu verlegen. Mit großer Begeisterung und abwechslungsreichem Stundenaufbau leitet sie zwei Mal in der Woche ihre Schützlinge aus dem Judomaxx an. Direkt danach starten Kris Murawski und Dima Tsimakuridze mit ihren Fitnessangeboten. Alle können sich über dankbare und regelmäßige Teilnehmer freuen.
Auch neue Angebote sind im Programm. Seit Februar ist nach vielen Jahren Heiko Manstein wieder als Übungsleiter und Animateur auf der Matte. Er bietet Taiso an, eine neue, alte Bewegungsform, die verschiedenen Gymnastik-, Fitness-, Yoga-, Judo- und andere Sportelemente beinhaltet, vor allem Spaß macht und bestens geeignet zum Wiedereinstieg ist sowie für frühere, junge und ältere Judoka, Aikidoka, Karateka. Taiso ist ähnlich der Aufwärmgymnastik in vielen Budo-Sportarten und trainiert behutsam Beweglichkeit, Koordination, Stabilisation, Ausdauer. Auch Eltern oder Leute, die längere Zeit keinen Sport mehr gemacht haben, sind willkommen.
Reha-Sportgruppen starten wieder
Live starten können ab 1. März auch wieder die Teilnehmer der Reha-Sportgruppen in Kooperation mit Physiotherapie Theraneos. Die Reha-Sportrezepte wurden automatisch von den Krankenkassen um sechs Monate verlängert, die Trainingszeiten bleiben wie vor der Schließung bestehen.
Und wie sieht es finanziell aus? Es gab viele Umfragen unter den Vereinen und Förderhinweise. Doch muss dabei jeder Verein individuell betrachtet werden. Der Judo-Sportverein hat noch nie über Eintrittsgelder viele Einnahmen gewonnen. Mitgliedsbeiträge und Projektmittel sowie Spenden und Sponsoring gehören zu den Haupteinnahmequellen. Die Solidarität der Mitglieder und Sponsoren war unvergleichlich groß, auch Fördermittel konnten abgerufen werden. Ausgaben für Startgelder, Fahrtkosten und Übungsleiter schrumpften dafür auf ein Minimum. Deshalb sah der Jahresabschluss 2020 durchaus positiv aus. Wie sich die Corona-Pandemie jedoch weiter auf die Mitgliederzahlen auswirken wird und ob es gelingt, die Kurse bald wieder voll zu bekommen, ist momentan noch nicht abzusehen.
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